Herausforderung:MORALISCHE DILEMMATA

PR-Profis wollen einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten. Das hat die Mynewsdesk Studie des vergangenen Jahres deutlich gezeigt. Voraussetzung dafür: eine hohe persönliche Integrität. Die aber ist immer schwieriger für die Kommunikationsexpert:innen zu erreichen, zeigt die diesjährige Studie. Denn die ethischen Herausforderungen werden größer – und in zunehmendem Maße kollidieren die persönlichen Werte mit denen der eigenen Organisation oder den Wünschen der Kunden. Das Ergebnis: wachsende moralische Dilemmata und ein sinkendes Wohlbefinden. Aber es gibt Auswege.

Integrität: ein zentraler Wert für die deutsche PR

Integrität wird unter deutschen PR- und Kommunikationsexpert:innen hoch geschätzt. Fast zwei Drittel betrachten sie als eine der wichtigsten Eigenschaften. Stark ausgeprägt ist auch das Vertrauen in die eigene Integrität: Fast drei Viertel (74 %) stufen ihre Fähigkeit, nach Überzeugungen und Prinzipien zu handeln, als hoch ein – und fast ebenso viele schätzen ihre eigene Integrität sogar höher ein als die ihrer Kolleg:innen. Darüber hinaus sind mehr als 60 Prozent überzeugt, dass die PR- und Kommunikationsbranche im Vergleich zu anderen Branchen eine stärkere Integrität zeigt.

73%empfinden starke Integrität als eine der wichtigsten Eigenschaften in der Branche.
71%sind der Meinung, dass ihre Fähigkeit, nach ihren Überzeugungen und Prinzipien zu handeln, höher ist als die ihrer Kolleg:innen.
61%glauben, dass Menschen in der PR- und Kommunikationsbranche eine stärkere Integrität besitzen als in anderen Branchen.
65%glauben, dass Menschen in der PR- und Kommunikationsbranche einen höheren ethischen Maßstab haben als in anderen Berufen.
41%würden niemals mit politischen Parteien oder Organisationen zusammenarbeiten, die ihren Werten widersprechen.
38%würden niemals in einer Branche, einem Projekt oder einem Bereich arbeiten, der ihren Werten widerspricht.
27%würden niemals an Kommunikationsmaßnahmen teilnehmen, die etwas täuschend darstellen (z. B. Greenwashing, Pinkwashing)
20%haben aus ethischen Gründen einen Kunden abgelehnt
19%haben aus ethischen Gründen ein Jobangebot abgelehnt

Hohe ethische Standards und klare Grenzen

Die Befragten schätzen nicht nur Integrität, sondern setzen auch hohe ethische Maßstäbe an. Die Mehrheit gibt an, Grenzen zu besitzen und Arbeit abzulehnen, die ihren Werten widerspricht oder irreführende Praktiken beinhaltet. Nur etwa jede/r Zwanzigste (6 %) sagt, dass sie/er keine Verantwortung oder Aufgabe aufgrund persönlicher Überzeugungen oder Werte ablehnen würden. Darüber hinaus gibt jeweils etwa ein Fünftel der Befragten an, bereits Kunden oder Jobangebote aus ethischen Gründen abgelehnt zu haben

Wenn Ideale auf Realität treffen: Integrität unter Druck

Während PR-Fachleute stolz auf ihre starken ethischen Werte sind, werden diese Prinzipien in der Realität oft auf die Probe gestellt: In den vergangenen sechs Monaten haben ein Drittel (33 %) der Befragten erlebt, dass sie eine schwierige Entscheidung zwischen mehreren schlechten bzw. unerwünschten Optionen treffen mussten. Oder sie waren in einer Situation, in der ihre ethischen Werte oder moralischen Überzeugungen infrage gestellt wurden. Auf die Frage nach konkreten Dilemmata-Situationen in ihrem Berufsalltag, gibt rund ein Viertel an, dass sie gebeten wurden, eine Aufgabe auszuführen oder etwas zu präsentieren, das ihren ethischen Prinzipien widerspricht. Mehr als ein Fünftel hat an einem Projekt gearbeitet, das gegen ihre ethischen Prinzipien verstieß.

Konkrete Dilemmata-Situationen im Berufsalltag
24%wurden gebeten, eine Aufgabe auszuführen oder etwas zu präsentieren, das ihren ethischen Prinzipien widerspricht
23%haben an einem Projekt gearbeitet, das gegen ihre ethischen Prinzipien verstieß

Die Kosten der Auseinandersetzung mit sensiblen Themen

Die Kommunikation sensibler Themen ist für viele PR-Fachleute ein Minenfeld. Denn wie frühere Studien gezeigt haben, sind sich die meisten PR-Profis der Verantwortung in der Kommunikation gesellschaftlich und politisch kontroverser Themen bewusst. Doch diese Verantwortung hat auch ihren Preis. Über die Hälfte gibt zu, dass sie nicht nur das Vertrauen, sondern auch das Gefühl von Sicherheit vermissen, wenn es um den Umgang mit sensiblen und polarisierenden Themen geht. Alarmierend ist zudem, dass fast jede/r Fünfte aufgrund solcher Themen bereits Bedrohungen erlebt hat, und mehr als jede/r Fünfte hat solche Themen sogar ganz vermieden, um Kritik oder Bedrohungen zu umgehen.

57%fühlen sich unsicher bei der Auseinandersetzung mit sensiblen Themen und polarisierenden gesellschaftlichen Fragestellungen
54%fühlen sich unwohl, wenn sie über sensible Themen und polarisierende gesellschaftliche Fragestellungen kommunizieren.
17%haben aufgrund der Kommunikation über ein sensibles Thema oder eine heikle Fragestellung bereits Bedrohungen erlebt
22%haben es vermieden, über ein Thema zu kommunizieren, um Kritik oder Bedrohungen zu vermeiden

Dilemmata: Eine Last, die niemand allein tragen sollte

Es überrascht nicht: Viele Befragte berichten, dass Arbeit, die den eigenen ethischen Prinzipien widerspricht, oder Kritik und Bedrohungen aufgrund der eigenen kommunikativen Arbeit ihren Tribut fordert. Über die Hälfte gibt an, dass dies einen starken negativen Einfluss auf ihr psychisches Wohlbefinden hat. Und während ein großer Teil auf seinen inneren Kompass – persönliche Werte oder Bauchgefühl – vertraut, um diese Herausforderungen allein zu bewältigen, wird deutlich, dass viele auch externe Unterstützung und Orientierung benötigen. Ein erheblicher Anteil wendet sich etwa an Kolleg:innen, Vorgesetzte oder Freund:innen, um Rat und Unterstützung zu erhalten.

54%geben an, dass ethische Dilemmata einen starken negativen Einfluss auf ihr psychisches Wohlbefinden am Arbeitsplatz haben
Wie Fachleute normalerweise reagieren, wenn sie mit einem ethischen oder moralischen Dilemmata konfrontiert werden
Ich lasse mich von meinen persönlichen Werten und Überzeugungen leiten
25%
Ich suche Rat und Unterstützung bei Kolleg:innen
22%
Ich suche Rat und Unterstützung bei meinem Vorgesetzten
20%
Ich suche Rat und Unterstützung bei Familie und Freund:innen
18%
Ich lasse mich von meinem Bauchgefühl und meiner Intuition leiten
18%
Ich halte mich an die ethischen Richtlinien meiner Organisation
17%
Ich sage meine Meinung und weigere mich, die Aufgabe auszuführen
17%
Ich sage meine Meinung und führe die Aufgabe unter Protest aus
17%
Ich halte mich an die ethischen Richtlinien der Branche
15%

DIE PERSPEKTIVE DER NÄCHSTEN GENERATIONIntegrität – eine stetige Abwägung

Die PR-Studierenden, mit denen wir gesprochen haben, nutzen Kommunikation, um positive Veränderungen voranzutreiben und suchen einen Arbeitsplatz, der mit ihren Werten übereinstimmt. Sie sind jedoch darauf vorbereitet, dass ihre Ideale in der Realität auf die Probe gestellt werden können. Während Ihrer Karriere wird es also eine stetige Abwägung sein, wo Sie die Grenze ziehen und womit Sie sich wohlfühlen. Es ist zwar essenziell, Ihren Werten treu zu bleiben, doch es wird auch Momente geben, in denen so manche Aufgaben Ihre Ideale herausfordern. Überraschenderweise können aber gerade diese Momente wertvolle Gelegenheiten bieten, Ihre Perspektive zu erweitern, Resilienz aufzubauen und sich als Profi weiterzuentwickeln – ohne dabei Ihre Kernprinzipien zu kompromittieren.

Ein großer Teil dieses Jobs besteht darin, die eigenen Grenzen zu definieren – nämlich herauszufinden, womit man einverstanden ist und womit nicht. Zu jedem Kunden oder jedem Projekt muss man zudem ein ehrliches Gespräch mit sich selbst führen: Was möchte ich mit meiner Arbeit erreichen? Wenn ich jemals in eine Situation käme, in der ich etwas auf eine Weise kommunizieren müsste, die nicht zu meinem Stil oder meinen Werten passt, würde ich einen Schritt zurücktreten und das größere Ganze betrachten. Ich würde mich darauf konzentrieren, einen strategischen Ansatz zu finden, hinter dem ich noch stehen kann.
Anna Moors
PR-Studentin
Prof. Dr. Andreas Suchanek
Professor für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Leipzig Graduate School of Management

DER RAT DES EXPERTEN„Moralischer Stress – ein versteckter Faktor am Arbeitsplatz“

Jede Branche sieht sich mit moralischen Dilemmata konfrontiert, doch laut Professor Andreas Suchanek steht die PR- und Kommunikationsbranche vor Herausforderungen, die tief in die Grundfesten von Ethik und menschlichen Werten eingreifen. In diesem Bereich arbeitet man ständig mit grundlegenden Konzepten wie Wahrheit und Respekt – Prinzipien, die nicht nur essenziell, sondern auch äußerst komplex und schwer fassbar sind. Die Wahrheit beispielsweise: Wie können Kompromisse eingegangen werden, ohne sich zu kompromittieren? Suchanek hebt zudem eine oft übersehene Quelle von Stress am Arbeitsplatz hervor: unsere Unfähigkeit, die moralischen Fragen, denen wir täglich begegnen, anzuerkennen und anzugehen. Ethische Überlegungen sind immer präsent, werden aber selten thematisiert. Zu viele Organisationen konzentrieren sich ausschließlich auf finanzielle Ergebnisse.

Dieses Fehlen von Aufmerksamkeit und Diskussion über ethische Themen lässt Mitarbeitende unvorbereitet und isoliert zurück, was ihren Stress und das Burnout-Risiko erhöht.

Um dem entgegenzuwirken, ist es notwendig, das Bewusstsein für ethische Fragestellungen zu schärfen und die Fähigkeit zu trainieren, ethische Urteile zu fällen – und vor allem, die Mitarbeitenden nicht damit allein zu lassen.

Ethische Checkliste
Leitfaden zum Umgang mit moralischen Dilemmata

  • Ethische Denkweise entwickeln: Treten Sie einen Schritt zurück aus dem hektischen Arbeitsalltag und bewerten Sie die potenziellen Auswirkungen Ihrer Entscheidungen aus der Sicht eines ”unparteiischen Beobachters”. Situationen aus einer ethische Perspektive zu betrachten, kann die Art und Weise verändern, wie Sie Ihre Optionen abwägen. Drei ethische Ansatzpunkte sind: 1. Sie sind verantwortlich für die Konsequenzen Ihrer Handlungen. 2. Vermeiden Sie es, unrechtmäßigen Schaden zu verursachen. 3. Behandeln Sie alle mit Respekt und gefährden Sie nicht die Integrität anderer.

  • Verantwortungsbereiche klären: Konzentrieren Sie sich auf das, was in Ihrer Kontrolle liegt und übernehmen Sie Verantwortung für Ihre Handlungen – nicht mehr und nicht weniger.

  • Der Wahrheit treu bleiben: Stellen Sie sicher, dass Sie an der Wahrheit festhalten, indem Sie prüfen, ob ein „unparteiischer Beobachter“ Ihren Aussagen zustimmen würde.

  • Werte und Realität in Einklang bringen: Im Bereich der Ethik neigen Menschen oft zu idealistischen Ansichten und Werten. Die Realität ist manchmal unangenehm, und Sie können nicht alles ändern. Stellen Sie sich also unbequemen Wahrheiten, ohne dabei Ihre Kernwerte aus den Augen zu verlieren.

  • Schützen Sie Ihre Integrität: Lernen Sie, wenn nötig, Nein zu sagen, und entwickeln Sie eine gewisse Unabhängigkeit von äußerer Anerkennung. Dies ist ein kraftvolles Werkzeug für Resilienz und Selbstachtung.

Wichtige Erkenntnisse
Moralische Dilemmata

  • Integrität vs. Realität

    Trotz starker Integrität sehen sich Fachleute oft mit ethischen Dilemmata konfrontiert, bei denen sie durch Aufgaben oder Projekte auf die Probe gestellt werden, die im Widerspruch zu ihren Prinzipien stehen.

  • Bedrohungen und Selbstzensur

    Fast jede/r Fünfte hat aufgrund der Kommunikation sensibler Themen bereits Bedrohungen erlebt – und mehr als jede/r Fünfte hat solche Themen vermieden, um Kritik oder Bedrohungen zu umgehen.

  • Moralische Dilemmata – ein versteckter Stressfaktor

    Laut Professor Andreas Suchanek ist unsere Unfähigkeit, die moralischen Fragen, denen wir täglich begegnen, anzuerkennen und zu adressieren, eine oft übersehene Quelle von Stress am Arbeitsplatz. Er fordert ein stärkeres Bewusstsein und mehr Schulungen in ethischem Urteilsvermögen.

  • So gehen Sie damit um

    Um moralische Dilemmata zu bewältigen, empfiehlt Andreas Suchanek, einer „ethischen Checkliste“ zu folgen. Zu den wichtigsten Schritten dabei gehören z. B. die Entwicklung einer ethischen Denkweise, die Klärung von Verantwortlichkeiten, das Festhalten an der Wahrheit und der Schutz der eigenen Integrität.