Media Tasting 2021: Umbruch, Aufbruch in der Medienbranche – und eine neue Rolle für den Journalismus

Digital Natives mit disruptiven Ideen, neuen Erzählweisen und viel gesellschaftspolitischem Sendungsbewusstsein. Etablierte Medienhäuser, die ihre Geschäfts- und Distributionsmodelle, aber auch ihre Inhalte neu ausrichten. Und ein Blick in die Abgründe von Fake News und Online-Hetze, die Qualitäts-Journalismus jetzt wichtiger macht denn je: Das Media Tasting bewies auch als Online-Veranstaltung, warum es als Deutschlands ungewöhnlichster Medienkongress gilt.

Die Stuttgarter Konzerthalle Wizemann wurde am 29. Juni zum Schauplatz eines wahren Feuerwerks an Ideen und Insights der Medienwelt: Obwohl das Media Tasting auch in diesem Jahr pandemiebedingt im Netz übertragen wurde, verbreiteten die aufwändige Bühnentechnik mit 3D-Sound, die geladenen Experten, die Moderatorin Stephanie Haiber (SWR Aktuell) und Gastgeber Frank Apfel authentisches Live-Feeling, bei dem zum Schluss sogar die Korken knallen durften: Zum traditionellen Weintasting vernetzten sich die Teilnehmer vor dem heimischen Bildschirm.

Schon zum Auftakt des Online-Kongresses wurde deutlich, wie stark die neue Generation der „Digital Natives“ den Kurs – und Diskurs – der Medienwelt bestimmen: Zum ausgeprägten Sendungsbewusstsein der jungen Medienmacher gehört auch das Thema „Nachhaltigkeit und Green Production“: Die Nachhaltigkeits-Consultants Janick Oswald und Frieda Preuß von Creatable-X sowie Fabian Linder und Maria Dehmelt von der MFG Baden-Württemberg stellten aktuelle Beispiele und konkrete Maßnahmen für eine nachhaltige Produktion vor. 

Wer in die Welt der Social Media hineingeboren wird, hat einen anderen Blick auf die Welt – und eine andere Art, Geschichten zu erzählen. Das zeigte der erste Themenblock Soziale Medien und Digitale Geschichten deutlich. Formatentwicklerin und -Managerin Duygu Gezen (funk) und Instagram-Topmanager Heiko Hebig beleuchteten die Funktionsweisen und Charakteristika der verschiedenen Plattformen, während Katja Siegel (VICE-Magazin), Künstler Tim Bengel und Social Media-Profi Jonas Nagel ihre beeindruckenden Erfolgsgeschichten teilten. Duygu Gezen sieht die Relevanz von Facebook schwinden und TikTok auf der Überholspur. Heiko Hebig empfiehlt, möglichst oft und vielfältig auf Instagram zu posten. Für Jonas Nagel ist Erfolg vor allen eine Sache guten Timings. Einig waren sich dabei alle: Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Authentizität – und im Mut, neue Dinge auszuprobieren.

Eine neue Generation Nutzer und Macher, neue Erzählweisen, neue Plattformen – da bleibt auch für etablierte Player kein Stein mehr auf dem anderen. Bühne frei für den Themenblock „Digitale Transformation“: Businessfuturist Sven Göth gab spannende Ausblicke und ermutigte dazu, die „Zukunft aktiv zu gestalten“. Wie das in der Praxis gelingen kann, erläuterten die Produzenten Hannes Jakobsen und Sandra Delasauce, Redaktionsleiterin des SWR-Online-Erfolgs „On Mai Way“. Politikwissenschaftlerin und Digitalstrategin Geraldine de Bastion und SWR-Intendant Prof. Dr. Kai Gniffke erläuterten, welche Chancen sich gerade den Öffentlich-Rechtlichen durch die digitale Transformation bieten. Auch Nicole Agudo Berbel (Seven.One Entertainment) und Stephan Zech (Axel Springer) sehen neue Möglichkeiten im Umbruch – und wollen für ihre Medienhäuser nicht nur neue Geschäfts- und Distributionsmodelle erschließen, sondern sich auch gegenüber der Marktmacht von Google, Facebook, Amazon und Co. behaupten.

Wie kann sich Journalismus zwischen Fake News und Trollfarmen, Influencern und Identitäts-Ideologen jeglicher Couleur erfolgreich behaupten? Das war das Kernthema des dritten Themenblocks: Konstanze Beyer und Lisa Kaniss stellten das neue Doku Lab von RTLZWEI vor, in dem hochwertige Dokumentationen zu gesellschaftlich relevanten Themen entwickelt werden. Prof. Dr. Lars Rinsdorf (Hochschule der Medien in Stuttgart) sprach über Deepfakes, Fake News und den Einfluss auf den politischen Diskurs. Digitalisierung, Demokratie und Fake News waren auch das Kernthema von Dr. Kristin Becker, Korrespondentin des ARD-Hauptstadtstudios. An aktuellen Beispielen zeigte sie toxische Diskussionen und „fehlende Differenzierung“ im Netz auf und setze dies mit Blick auf die Bundestagswahl in ein gesamtpolitisches Bild. Fazit: Noch nie war Journalismus so wichtig wie heute – und noch nie waren seine klassischen Tugenden so wertvoll: kritische Distanz, Unabhängigkeit, Differenzierung und eine Einordnung der Fakten. Dazu gehört auch das Standvermögen, der Empörungs-Ökonomie zu widerstehen und nicht jedem „Aufreger“ der Sozialen Medien und Messenger-Plattformen nachzulaufen.

Während in Wembley das letzte EM-Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft angepfiffen wurden, klangen beim Media Tasting die Gläser. Frei nach Napoleon („Champagner: Nach Siegen hat man ihn verdient, nach Niederlagen braucht man ihn“) kredenzte Top-Sommelière Yvonne Heistermann edlen Sekt und Spitzenweine, die die Teilnehmer zuvor per Post zugeschickt bekommen hatten. So mussten die Teilnehmer weder auf das traditionelle Networking des Media Tastings noch auf den Weingenuss verzichten – eine ausgeklügelte digitale Plattform ermöglichte auch den informellen und spontanen Austausch.

Veranstalter Frank Apfel: „Wir haben mit unserer Live-Plattform, der Bühnen- und Soundtechnik alle technischen Register gezogen. Entscheidend ist und bleibt jedoch der menschliche Faktor – das gilt für digitale Veranstaltungen im Speziellen und für die Umbrüche der Medienwelt insgesamt.“

Ein Blick hinter die Kulissen: Das Team von epicto sorgte für die beeindruckende Licht-, Ton- und Bühnentechnik