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Too big to fail: Warum an manchen Marken einfach kein Image-Schaden haften bleibt.

VW Dieselgate, FIFA-Skandale, Selbstmorde und Kinderarbeit – bei manchen Marken fragt man sich schon, wie sie eigentlich überleben. Dabei legen sie sogar im Gegenteil noch an Attraktivität zu, der Absatz steigt, der Aktienkurs ebenfalls. Was macht ihr Image so stark, dass Konsumenten, Gesellschaft und Politik ihnen Skandale und Charakterschwächen fast uneingeschränkt nachsehen?

Als der Mineralölkonzern Shell 1995 seine Ölplattform „Brent Spar“ samt Ölschlämmen, radioaktivem Müll und Schwermetallen in der Nordsee versenken wollte, führten ein Sturm der Entrüstung und Boykott der Tankstellen sowie massiver Umsatzeinbruch dazu, dass Shell einlenkte und die Plattform an Land in ihre Einzelteile zerlegte und fachgerecht entsorgte. Mündige und unabhängige Bürger hatten die Marke in die Pflicht genommen.

Wie ist die Situation heute? Wie viele Konsumenten boykottieren etwa „Corporate Steuerflüchtlinge“ wie Apple und Co.? Wie viele regen sich dagegen bei einem Uli Hoeneß auf, der im Kern identisch zu Apple handelte (Hinterziehung von Gewerbesteuer und Einkommenssteuer) und zudem Kapitalertragssteuer hinterzog, aber eben als Privatperson? Sind es nicht vielmehr Neid und Missgunst, die zu gesellschaftlicher Ächtung von Hoeneß führten, was bei Apple nun mal nicht geht, da jeder zweite Bürger oder mehr selbst ein iPhone verwendet und sich damit der Mittäterschaft bezichtigen würde? Der Fingerzeig auf den Einzelnen ist schier unmöglich.

Eigentlich gilt doch: Wer einen guten Ruf genießt, darf sich nichts zuschulden kommen lassen. Der verantwortete Bereich wird für bekannte Marken wie Apple oder H&M sogar immer noch größer, da Konsumenten Marken zunehmend für die gesamte Wertschöpfungskette in der Verantwortung sehen.

Eigentlich haben wir doch gelernt, dass eine hohe positive Konnotation der Marke und persönliche Involvierung der Konsumenten für die Unternehmen die Grundvoraussetzung sind, um das Vertrauen in das Markenversprechen auch durch anhaltendes Fehlverhalten oder durch etwaige Skandale nicht dauerhaft zu schädigen. Dass dies dennoch laufend und kontinuierlich passiert, ohne dass die Marken oder Unternehmen irgendwelche Konsequenzen fürchten müssten, erleben wir täglich. Denn durch die eigene ständige Nutzung oder Verwendung der Marken einerseits und der Häufigkeit des Vertrauensbruchs der Marken andererseits sind wir so ermüdet, dass wir gemeinsam mit den Behörden und dem Staat, der durch die Lobbyistenverbände wunderbar bearbeitet und in eine Form der Lethargie gebracht wird, diese perfide Strategie der Marken und Unternehmen mit einem Gefühl der Ohnmacht unterstützen.

1. Wie wichtig dabei emotionale Aufladung ist kann man bereits daran ablesen, wie verzweifelt in der Markenkommunikation und in der Werbung momentan mit Gefühlen gewuchert wird.

Die Unternehmen machen vieles, um ihr grobes Fehlverhalten weiter abzusichern. Sie duzen uns (IKEA, Apple, Volkswagen, …) und sie investieren viele Werbemillionen, um geliebt zu werden: McDonald‘s – Ich liebe es, Edeka – Wir lieben Lebensmittel, Condor – Wir lieben Fliegen. Das claimen emotionaler Grundbedürfnisse wie nach Liebe für die eigene (Unternehmens)-Marke soll den Konsumenten einerseits zum Kauf animieren und langfristig binden, aber insbesondere soll es sicherstellen, dass es der Kunde und Konsument bei diesem „ihm Liebe offerierenden Unternehmen“ nicht so genau nimmt. Es ist interessant zu sehen, wie multinationale Konzerne fast identisch agieren zu Menschen, die uns im Leben ganz nahe stehen. Mich erinnert das ökonomisch gesteuerte Fehlverhalten samt Umweltvernichtung (Umweltverschmutzung bedeutete ja, etwas un-verschmutztes bliebe Gott sei Dank übrig, und dem ist wahrlich nicht so) zur Steigerung des Shareholder Value ein wenig an meine eigenen Kinder. Wenn sie etwas tun, das eindeutig nicht in Ordnung ist oder zu einem Schaden führt, stehen sie ganz liebevoll dreinblickend vor mir und sagen: „Aber Papa, es war nicht so gewollt – wir lieben dich doch“. So im Sinne von: Es kann eigentlich gar nicht sein, dass wir uns dieses Fehlverhalten geleistet haben, denn das würde ja im Widerspruch zu unserer Liebe zu dir stehen. Genau dasselbe macht Apple als Steuerflüchtling oder Volkswagen als Umweltvernichter oder H&M als Kleiderproduzent oder IKEA als Designermöbellieferant für alle: Sie stehen vor uns und reagieren verdutzt, wenn Skandale von aufmerksamen Journalisten oder Nicht-EU-Behörden aufgedeckt werden, und behaupten letztlich, dass es so nicht gewesen sein kann, denn sie lieben doch das was sie tun und insbesondere uns, ihre Kunden. Dieses Verhalten stünde also in einem emotionalen Widerspruch.

Es ist wie im richtigen Leben: Einer Person, die man liebt, verzeiht man Fehlverhalten schneller, als anderen. Ergo: Einem Unternehmen, dessen Liebesbekundungen auf fruchtbaren Boden fallen, wird Fehlverhalten, bewusste Steuerhinterziehung, Umweltvernichtung, Kinderarbeit, Dumpinglöhne in Drittweltstaaten oder unlauterer Wettbewerb eher verziehen, als anderen. Sprich, die Kosten, welche durch die genannten Vergehen eingespart werden, werden gleich in emotionale Liebesbekundungen investiert – ein perverser aber gut funktionierender Kreislauf.

Erfolgreiche Marken haben verstanden, wie sie den emotionalen Widerspruch zwischen Begehrlichkeit und schuldvollem Verhalten auf den Verbraucher abwälzen, indem sie eine authentische Bindung positiver Emotionen in den Markenkern umsetzen konnten.

2. Und: Es ist auch eine Frage der persönlichen Identifikation.

Je länger und je größer eine Konsumentenmarke, eine Marke mit einem „anfassbaren oder erlebbaren Produkt“, auf dem Markt ist und je monopolistischer sie sich im Laufe ihres Bestehens entwickelt hat, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für persönliche Identifikation und Liebe. Es entstand in der Vergangenheit fast schon automatisch eine hohe Identifikationsbereitschaft der Konsumenten. Welche Alternative hatte der Verbraucher schon, wenn ihn die Marke sein Leben lang begleitet hat und sein persönliches Umfeld die Marke in einem hohen Maße verwendet. Beispiel? Volkswagen! Generationen sind mit ihm groß geworden, von der Kriegsgeneration mit dem Kübel über Käfer, Golf und Polo. Schlussendlich mit dem Passat in den 80ern und dem Touran heute – der Familienkutsche. Der Individualist oder midlifegeplagte Vater mit großem Geld gönnt sich nachdem die Kinder aus dem Haus sind noch einen Touareg, bevor es im Rentenalter der Tiguan wird. Die ewigen 68er bleiben natürlich den Nachfolgern des T1 oder T2 treu. VW ist vielfach Teil der familieneigenen Erzählung und wirkt traditionsbildend.

Und nun werden wir so böse überrascht von Dieselgate und Schummelsoftware? Von bewusster Verunreinigung in abartigem Maße ggf. mit Todesfolge und Tierversuchen? Nein, das darf nicht sein. Und wir müssen erst recht zusammenstehen, wenn schon die Amerikaner nun das Unternehmen, welches uns von Geburt an begleitet, dem unsere Großväter und Väter zutiefst vertrauten, den Garaus machen will. Insgeheim danken wir Angela Merkel für Ihren Schongang bei VW und Co. Und Anton Hofreiter und seine Anprangerungen? Geschenkt – ein Hitzkopf eben, der am Ende sicherlich auch einen T4 in der Garage stehen hat.

Und selbst wenn Amerika sich nun durchsetzt oder das deutsche Volk tatsächlich wollen würde, dass der Konzern zur Rechenschaft gezogen wird (was sicherlich nicht passieren wird), der Staat die Steuern erhöhen würde zur Rettung der deutschen Automobilindustrie und ihren Zulieferern – wir würden final die Pille schlucken. Wie bei den Banken. Wir sind alle ein wenig Volkswagen. Wir sind alle „Das Auto“. Wir stehen füreinander ein, auch wenn der Einzelne nix davon hat außer vielleicht einem Schummel-TDI, den er nicht mehr los wird.

In Wirklichkeit stehen wir, der Einzelne, für ein paar wenige Großaktionäre ein, deren Vorstände und Marketiers es erreicht haben, uns so weit zu bringen, dass wir davon zutiefst im Innersten überzeugt sind. Auch wenn wir jeden Tag das Gegenteil sagen, twittern und posten.

3. Gelassenheit und Dementi

Eine erfolgreiche Marke muss gelassen bleiben. Und bei Skandalen darf sie nicht aufgeschreckt reagieren. Insgesamt wirken eine bestimmte Ruhe und Selbstverständlichkeit verlässlich auf die Konsumenten. Oder wie es einmal ein berühmter Verhaltenstherapeut sagte: „Selbst wenn sie in flagranti beim Fremdgehen von ihrem eigenen Lebenspartner erwischt werden, dementieren sie mit aller Härte und bleiben sie vor allem für immer dabei“. Das geht länger gut, als sie in der Lage sind sich vorzustellen und zwar so lange, bis das von Anfang an bewiesene Fehlverhalten in der Gesellschaft mangels Interesse nicht mehr so sehr wahrgenommen wird. Es wird schon bald eine neue Sau durchs Dorf getrieben werden.

Der Schaden bleibt also sehr überschaubar. Siehe Volkswagen. Eigentlich haben uns doch die Berichte über die Menschen- und Tierversuche nicht mehr so sehr gestört, oder? Eigentlich waren wir des Themas VW müde. Und, ist es überhaupt wahr? Man hat am Rande in einer Kurznotiz auch gelesen, dass ein Journalist hier nicht gut gearbeitet hätte und das Thema aufgebauscht vermarktet wurde.

Wir wollen lieber schöne und gute Nachrichten aus Wolfsburg und anderswo. Wir wollen lieber stolz sein auf unseren neuen Golf GTI, mit Freude das neue iPhone X kaufen und entspannt von der Dachterrasse aus bei Amazon rumstöbern und uns nicht schämen müssen. Ist deswegen jede Kritik am System, am Umweltverhalten der Regierungen Heuchelei? Jein. Der Verbraucher ist einfach kein wesentlicher Faktor für nachhaltiges Verhalten, da er sich kontinuierlich in seinem persönlichen Handeln einschränken müsste. Nachhaltigkeit muss auf Unternehmensebene von Entscheidern vorangetrieben werden, um Marken zu generieren, die den Verbrauchern gar keine andere Wahl lassen, als verantwortlich zu handeln. Hier fallen diese Entscheidungen um ein vielfaches einfacher, da sie das Unternehmen betreffen.

4. Wir lieben Fussball – komme was da wolle.

Wird überdeutlich und für jeden erkennbar, dass hinter einer Marke immer egoistisch ausschließlich kapitalistisch getriebene Prozesse stehen, dann könnte es vielleicht so eng werden, dass man fix den König (Präsidenten) tauschen muss. Denn, dass eine Marke generell am Markt teilnehmen muss, um bestehen zu können, und dafür wirtschaftlich arbeiten muss, trifft auf Verständnis. Gerade aber die FIFA tritt immer mehr als kriminelles und größenwahnsinniges Unternehmen auf, in dem Geld, Ablösesummen, Transfers, Bestechung und Veruntreuung von Geldern die relevantesten Themen bilden. „Der Fußball verkauft seine Seele“ liest man über die verschiedenen Medien hinweg immer häufiger – aber stören tut es am Ende keinen wirklich, denn wir wollen entertaint werden. Früher waren es die Arenen in Rom, in denen Menschen direkt erlebbar starben, heute sterben die Menschen beim Bau der Stadien von Katar. Und?

Endlich ist WM. Tolle Sache. Die ganze Fußball-Welt – bis auf Italien ausnahmsweise vielleicht – fiebert mit. Jung und alt, männlich und weiblich, arm und reich. Alle unterstützen, vielfach ohne es zu wissen, das System, welches die WM ausrichtet: Die FIFA. Sie ist es, die entscheidet, wer, wann, was, wo und wie. Publikumswirksam und Werbegelder eintreibend vermeintlich zufällig und per Los, aber sicherlich sind wir uns mittlerweile alle einig, am Ende doch korrupter und geplanter als gedacht, sodass sogar Könige und vom Volk ernannte Kaiser in die Skandale zutiefst verwickelt sind, denen wir bis vor kurzem den tiefsten Respekt zollten. Menschenhandel (Katar-Arbeiter), jegliche Form von Sexismus und Frauenfeindlichkeit, Bestechung, Erpressung und gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung. Dies nur um einige Beispiele zu nennen, denn die Liste ist unsagbar lange. Jedem (einzelnen) Menschen, der als Einzelperson all diese Straftaten, Ordnungswidrigkeiten, gesellschaftlich und moralisch verwerflichen Handlungen begangen hätte, würden wir mit Missachtung und Desinteresse strafen und ihm ein grauenvolles Leben hinter einer eisernen Zellentüre wünschen, aber der FIFA? Mon Dieu – auch das darf nicht sein. Wir beurlauben und pensionieren ein paar der selbsternannten Kaiser und Könige, statten sie mit ausreichend Geld, lebenslangen Pensionen und VIP-Status aus und weiter geht es: Es lebe der Fußball.

5. Fazit

Wir als Konsumenten sehen Marken in der Verantwortung, sogar immer weitreichender, können aber nicht selbst umfassend verantwortlich handeln. Wir sehen uns als Mittäter, sind aber zu menschlich (schwach), uns selbst in unserem Konsum zu beschneiden. Wir sind an zu vielen Fronten schon zu lange Mittäter, sodass sich eine Gewöhnung an unser unkorrektes Verhalten ergeben hat, genauso, wie wir uns an hochgradig unkorrektes Verhalten großer Unternehmen und Marken gewöhnt haben. 

Wie wir diesen Zwiespalt aushalten? Auch uns selbst lieben wir trotz unseres unzulänglichen Verhaltens. Wie sollte es uns mit Marken anders gehen, die wir ins Herz geschlossen haben?

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Autor: Tobias Phleps, CEO Superunion Germany

Als führende Agentur für Branding, Brand Experience und Design bietet Superunion Germany Creative Brand Transformation, Innovation Management und Brand Experience-Konzepte für Marken und Unternehmen. In Deutschland ist die Agenturgruppe in den Metropolen Berlin, Hamburg und München zu finden.

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