Blog-Eintrag -
KI, Arbeit und der menschliche Kern
Mit der künstlichen Intelligenz verändert sich die Rolle des arbeitenden Menschen in vielen Wirtschaftszweigen. Das kann sehr befreiend sein. Ein Gedanke, den wir speziell in Deutschland mit der uns manchmal eigenen Ängstlichkeit annehmen sollten. Denn der Umbruch ist schon längst da, wie skeptisch wir der KI gegenüber auch sein mögen. Warum Kommunikatoren keine Angst haben müssen? Das erklärt uns Kristina Pilkinton – Deutschlandchefin des schwedischen PR-Softwareherstellers Mynewsdesk.
Ob nach der Elektrifizierung New Yorks in den 1880er Jahren irgendjemand gesagt hat, dass dieses elektrische Licht wohl nur eine Modeerscheinung sei, weiß ich nicht. Wenn, dann wahrscheinlich eher bei uns in Deutschland als in den USA. Aber es erscheint mir unwahrscheinlich. Der Nutzen war einfach zu offensichtlich: Licht auf Knopfdruck und ohne große Brandgefahr.
Weniger einfach zu greifen war wohl der Nutzen einer Erfindung namens Internet etwas mehr als 100 Jahre später. Selbst für einen IT-Guru wie den Microsoft-Gründer Bill Gates. Die Legende besagt, er habe seinen Entwicklern im Jahr 1993 an den Kopf geworfen, das Internet sei nur ein Hype und sie sollen sich lieber um wirklich wichtige Dinge wie das neue Betriebssystem Windows 95 kümmern. Der Rest ist Geschichte. Die Möglichkeiten des World Wide Web scheinen schlicht zu groß gewesen zu sein. Auch wenn sie nicht gleich so ins Auge sprangen, wie die Vorteile des elektrischen Lichts.
Ein oder zwei disruptive Erfindungen später sehen wir uns heute einer Technologie gegenüber, die unser Leben schon längst mindestens in gleichem Maße verändert: der künstlichen Intelligenz.
Täuschend echt
Während die meisten Menschen sich wohl vorwiegend auf die Elektrifizierung ihrer Häuser gefreut haben und das Internet in seinen Anfängen wiederum niemanden bis auf ein paar Nerds interessiert hat, herrscht der künstlichen Intelligenz gegenüber eine ganz andere Stimmung. Angst, das weisen Studien in schöner Regelmäßigkeit nach, ist dabei zumindest in Europa und speziell in Deutschland eine wichtige Komponente. Auch in der Kommunikationsbranche, der ich selbst angehöre. Nicht verwunderlich. Schließlich übertreffen uns Menschen künstliche Intelligenzen in Bereichen, von denen wir immer dachten, dass sie uns ausmachen: das Formulieren von Sätzen etwa. Beängstigend, nicht nur für Kommunikatoren wie mich.
Spätestens seit dem 30. November 2022, an dem ChatGPT der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, drangen diese Erkenntnis und damit verbunden die Befürchtung durch, die Maschinen würden uns jetzt das Denken abnehmen. Aber selbst wenn das, was die sogenannten Large Language Models da tun, dem Denken nur täuschend ähnlich sieht: Es reicht, um uns in sämtlichen Bereichen, die das Arbeiten mit Text und Zeichen generell betreffen, ernsthafte Konkurrenz zu machen.
Widerstand zwecklos?
Was die Elektrifizierung, das Internet und künstliche Intelligenz vereint (und vermutlich alle disruptiven Ideen seit dem Rad): Der Widerstand gegen sie ist zwecklos. Die generative KI betreffend zumindest in Branchen, die mit Text und Zeichenverarbeitung im weitesten Sinne zu tun haben. Dort bringen sie schlicht zu viele Vorteile, als dass man es sich erlauben könnte, sie nicht zu nutzen. Denn ein Teil der Konkurrenz tut es ganz sicher schon. Und für den wird man als Nicht-User sehr schnell keine Konkurrenz mehr sein.
Wenn man so will, dann bringt die breite Anwendung generativer KI in Branchen wie Journalismus, Public Relations, Drehbuchschreiben oder Rechtswesen mit 250 Jahren Verspätung die industrielle Revolution. Geistige Routinetätigkeiten werden automatisiert erledigt. Aber vermutlich gewinnen wir dabei mehr als wir verlieren. Auch in Deutschland.
Keine Angst vor Papageien!
Ein paar Zahlen zur Angst vor der KI. Sie sitzt tief, besonders in Europa, und Deutschland belegt den vordersten Platz. Eine Studie der Boston Consulting Group aus dem Juni 2024 zum Thema KI im Arbeitskontext fasst die weltweite Stimmung zusammen. Dabei stellt sich heraus: 42 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Vorjahr: 36 Prozent) mutmaßen, KI wird ihren Arbeitsplatz in den nächsten zehn Jahren eliminieren. In Deutschland sogar 59 Prozent – der höchste Anteil aller befragten Länder. Auch die deutsche Kommunikationsbranche ist stark verunsichert. 56 Prozent der deutschen Fachleute finden, ihre Rolle hat sich jetzt schon so stark verändert, dass sie darüber nachdenken, die Branche zu verlassen. Das hat eine Umfrage für den Mynewsdesk PR-Report 2024 ergeben. Dabei könnte die Nutzung generativer KI in Zukunft 330 Milliarden Euro zur Bruttowertschöpfung in Deutschland beitragen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts IW Consult von 2024. Allerdings müssten, so die Studie, dazu mehr als 50 Prozent aller Unternehmen in Deutschland KI nutzen. Momentan tun dies nur rund 17 Prozent. Warum?
Dass Tätigkeiten, in denen ausschließlich Zusammenfassungen geschrieben, Wissen gesammelt oder verdichtet wird, verschwinden werden, ist nicht wegzudiskutieren. Den Menschen aber voll und ganz in der Arbeitswelt ersetzen wird die KI, so wie sie heute existiert, sicher nicht. Das liegt an ihrer Natur. Sie ist nichts weiter als ein stochastischer Papagei. Eine Maschine, die von einer Frage – oder einem Prompt – ausgehend, die Worte aneinanderreiht, die am wahrscheinlichsten darauf folgen. Eins nach dem anderen, ohne Absicht. Und weil sie die Wahrscheinlichkeiten aus allen möglichen korrekten, widersprüchlichen, brillanten oder faktisch falschen Texten ableitet, die sie im Internet „gelesen“ hat, produziert sie oft Texte, die nicht vertrauenswürdig sind. Die KI halluziniert auch dann „Antworten“, wenn sie gar keine richtige Antwort auf eine Frage hat. Es ist schlicht so: Diesen Maschinen fehlt die Urteilskraft. Etwas, das, frei nach dem Aufklärer Immanuel Kant, nicht durch Regeln erlernbar ist. Eine genuin menschliche Fähigkeit.
Mensch: Konzentration aufs Wesentliche
Die künstliche Intelligenz, wie sie heute existiert, wird nicht ohne den Menschen auskommen. Auch nicht, wenn es um Texte geht. Wir Menschen müssen ihre Ergebnisse beurteilen. Alles andere würde uns ins Chaos führen. Auch in ethischer Hinsicht.
Meine Branche, die PR, ist keine Ausnahme. KI-gestützte PR-Tools schreiben mittlerweile für Kommunikationsverantwortliche in Unternehmen erste Entwürfe von Pressemeldungen, Blogartikeln oder Social-Media-Postings. Diese Texte gehen, ehrlich gesagt, schon weit über bloße Skizzen hinaus. Sie enthalten Hauptbotschaften des Unternehmens, sind im Tonfall der bisher veröffentlichten Texte verfasst etc. Und trotzdem: Zu 100 Prozent ist das Ergebnis meist nicht zufriedenstellend. Um dies zu beurteilen, ist der PR-Experte vonnöten.
Den Kern seiner Arbeit – die perfekte Story zu liefern – nimmt die KI dem PR-Profi also nicht ab. Aber um ihn weiter erledigen zu können, braucht er oder sie jetzt eine umso tiefere Expertise in ihrem Fachgebiet.
Eine neue Rolle
Für den geistig arbeitenden Menschen ändert sich damit seine Rolle. Sie verschiebt sich weiter hin zum Strategen, zum Experten, der erste Entwürfe einer Maschine prüft und zur Perfektion weiterentwickelt. Es geht jetzt darum, diese Rolle anzunehmen.
Dadurch wird vieles besser. Auch wenn wir ein paar der Aufgaben vermissen werden, die die KI uns abnimmt – so, wie wir manchmal das Kerzenlicht vermissen. Aber wer hindert uns daran, den Lichtschalter unberührt zu lassen und eine Kerze anzuzünden, wenn uns gerade danach ist? Seriöse KI-Tools lassen dem menschlichen Nutzer auch jederzeit diese Möglichkeit: Die Dinge selbst zu erledigen – und ihre Arbeitsschritte zu prüfen und in Frage zu stellen, wann er es will.
Ich möchte deswegen dafür plädieren, dass wir uns speziell in Deutschland den Umgang mit der KI nicht von der Angst diktieren lassen. Wir sollten neugierig sein und ausprobieren, was diese Technologie kann – und was eben nicht. Laut Psychologie ohnehin die effektivste Methode Ängste zu überwinden: die Konfrontation mit dem, was uns Angst bereitet. Und sollten Sie dabei das unangenehme Gefühl haben, dass Sie schummeln, fragen Sie sich einfach, ob ein Tischler schummelt, wenn er eine elektrische Säge verwendet.