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Blick hinter die Kulissen: Interview über Magazino, TORU und die Faszination für Robotik - Teil 1

Wir haben die Entwicklungsleiter der Software-Abteilung von Magazino, Dr. Moritz Tenorth und Dr. Ulrich Klank und den Senior Expert Computer Vision Nikolas Engelhard, der gleichzeitig einer der Gründer von Magazino ist, an einem Tisch versammelt, um über Magazino, den Kommissionier-Roboter TORU und die Robotik zu reden. Im Interview gewähren die Robotik-Spezialisten einen Einblick in ihren Arbeitsalltag, die Funktionsweise des Roboters und ihre persönliche Leidenschaft für die Robotik.

Bitte stellt euch kurz vor!

Nikolas: Ich bin Nikolas, einer der Gründer und seit über 3 Jahren bei Magazino. Ich habe davor Informatik studiert, hauptsächlich in Freiburg, und anschließend war ich bei Daimler in Ulm. Dort habe ich Fahrerassistenzsysteme mitentwickelt und mich daraufhin im Master komplett auf die Robotik konzentriert mit starkem Fokus auf Kameratechnik, also 2D- und 3D-Kameras. Ich habe dort ähnliche Projekte wie hier gemacht: Das heißt, Objekte erkannt und durch die Gegend bewegt – und konnte damit hier bei Magazino meine Arbeit von der Uni weiterführen.

Moritz: Ich bin Moritz, ich leite hier die Softwareabteilung zusammen mit Uli. Ich habe ursprünglich in Aachen und Paris Elektrotechnik studiert. Danach war ich eine Zeit in Südfrankreich und habe anschließend in München in Informatik und Robotik promoviert. Eine Zeitlang war ich dann noch als Postdoc an der Uni tätig. Nach der Uni bin ich zu Siemens gegangen und habe dort als technischer Consultant im Bereich Robotik gearbeitet. Seit Sommer letzten Jahres bin ich bei Magazino.

Ulrich: Ich bin Uli. Ich leite zusammen mit Moritz die Softwareabteilung. Zu meinem Hintergrund: Ich habe in München Informatik studiert mit Schwerpunkt auf künstliche Intelligenz und bin dann mit der Doktorarbeit in Richtung Computer Vision gekommen. Es ging darum, Robotern das Kochen beizubringen. Und anschließend hab ich dann dieses Wissen anderthalb Jahre bei MVTec angewandt. Im Anschluss habe ich eine Firma gegründet im Bereich Software-Qualität, habe das aber nach zwei Jahren aufgegeben und bin zu Magazino wieder in die Robotik gewechselt, wo die Tätigkeiten sehr viel interessanter sind.

Was fasziniert euch an der Disziplin Informatik und speziell an der Robotik?

Nikolas: Besonders begeistert mich an der Robotik, dass der Code, den ich am Computer tippe, gleich eine Auswirkung auf die richtige Welt hat. Das heißt, ich programmiere keine Webseite, wo dann ein neues Fenster erscheint, sondern ich sage einem Roboter, wie er sich zu bewegen hat und danach kann er sich neu im Raum orientieren, Sachen greifen oder sich von A nach B bewegen. Ich habe also nicht nur einen Text, den ich schreibe, ein Stück Code, das dann wieder virtuelle Auswirkungen hat, sondern ich kann wirklich direkt in der realen Welt sehen, wie meine Ideen auch die physikalische Welt bewegen können.

Moritz: Ja das finde ich auch sehr spannend, dass man die Ergebnisse direkt in Echt sieht und das man auch von den Problemstellungen her nicht rein in der Informatik ist, sondern auch andere Disziplinen wie Elektrotechnik, Maschinenbau und künstliche Intelligenz hineinspielen. Um zu schauen, wie man die Roboter so programmieren kann, dass sie selbstständig Entscheidungen treffen können, dass sie sich in der Welt zurechtfinden.

Ulrich: Diese Einfachheit des Regelwerks Informatik: Ich habe einen Compiler, der akzeptiert nur ganz limitiert was man ihm sagt, man muss in dieser Sprache mit etwas reden, kann aber trotz der Einfachheit mehr oder weniger alles, was man sich vorstellen kann, auch erreichen.

Moritz: Man kann Ideen, die man hat, sehr schnell und sehr einfach nur mit einem Computer umsetzen. Das ist einfacher als in anderen Disziplinen, wo man auch mehr Infrastruktur und Werkzeuge, Zeit und Geld braucht. Man hat die Möglichkeit sehr viele Dinge auch mit sehr einfachen Mitteln zu machen und Ideen zu verwirklichen.

War es schon immer euer Traum Robotik-Spezialist zu werden?

Moritz: Mein erster Roboter war ein Mindstorms-Baukasten von Lego, den ich von meinen Eltern geschenkt bekommen habe. Ich wollte schon immer etwas mit Robotik machen und habe mich daher für ein Elektrotechnik-Studium entschieden. Ich habe dann leider im Laufe des Studiums gemerkt, dass Elektrotechnik in Aachen wenig mit Robotik zu tun hat. Während meines Aufenthaltes in Frankreich und in meiner Promotion habe ich mich dann stärker darauf spezialisiert.

Ulrich: Mein Berufswunsch als Kind in der ersten Klasse war Erfinder!

Nikolas: Ich hab meinen Master komplett in Freiburg am Robotik-Lehrstuhl verbracht, sämtliche Wahlvorlesungen dort gehört, weil es mich einfach fasziniert hat und ich mehr in diesem Bereich machen wollte.

Warum seid ihr zu Magazino gekommen?

Nikolas: Ich hatte eigentlich gar nicht vor in die Wirtschaft zu gehen. Ich wollte promovieren und bin deshalb auch nach München gekommen. Es war Frederik [Mitgründer und CEO von Magazino], der mich von der Idee hinter Magazino überzeugt hat. Und es waren auch die Inhalte, die ich davor in meiner Masterarbeit behandelt habe: Irgendwelche Objekte erkennen, von A nach B bewegen. In Freiburg hatte ich ein Projekt mit einem Doktoranden zusammen, wo ich mit Robotern einen Tisch gedeckt habe, was dann schon sehr ähnlich ist, wie das Problem hier. Und ich konnte genau die Sachen weiterentwickeln und als Gründer und erster Informatiker extrem frei entscheiden, was ich mache und wie sich das Ganze entwickelt. Es gab da keine vorgegebene Struktur, sondern die Möglichkeit alles aufzubauen.

Ulrich: Ich hab in den EXIST Stipendiengruppen die drei Gründer kennengelernt. Und die waren einfach sehr sympathisch, das war ein wichtiger Faktor, dass ich drüber nachgedacht habe. Und ich hatte das Gefühl, dass ich da durchaus für die Aufgabe geeignet bin und fand das auch eine interessante Herausforderung. Am Ende bin auch ich auf das Werben von Frederik hin zu Magazino gegangen.

Moritz: Ich hatte eigentlich geplant nach der Promotion an der Uni zu bleiben – Richtung Professur. Über die Zeit war ich dann aber ein bisschen ernüchtert vom akademischen Arbeitsmarkt und Projektgeschäft, wollte aber weiterhin gerne interessante Robotik machen und da reduziert sich der Markt dann doch deutlich. Ich hab Frederik schon vor längerem kennengelernt, da war der Kontakt schon da und dann hat es sich so ergeben, dass ich unabhängig davon bei Siemens Novel Business als Consultant begonnen hatte und dann letztlich die beiden Sachen zusammen gekommen sind, dadurch dass Siemens bei Magazino investiert hat.

Habt ihr euch bewusst für ein Start-up entschieden? Was unterscheidet Magazino von einem großen Konzern?

Moritz: Es gibt die Möglichkeit sehr schnell Entscheidungen zu treffen, sehr agil auf Veränderungen zu reagieren, Dinge einfach mal zu machen, statt alles über mehrere Runden absegnen zu lassen.

Ulrich: Mit meinem Start-up kann ich es vergleichen: Hier ist der Erfolg eingetreten, gerade in der Außenwirkung und der Finanzierung, was natürlich ein extremer Motivationsboost ist. Bis dahin ist das Start-up eine sehr harte Geschichte.

Im Vergleich zu einem Mittelständler: Dort ist die Rolle des Einzelnen immer weniger wichtig geworden, hat immer weniger Einfluss auf die Richtung. Und das war bei Magazino schon früh so, dass man Einfluss nehmen kann und Entscheidungen so beeinflussen kann, dass sie aus eigener Sicht besser sind. Im vorigen Unternehmen hatte man oft eine richtige Meinung, aber wurde übergangen, weil man nicht wichtig genug war.

Nikolas: Ich hab noch nie in einem anderen Unternehmen gearbeitet außer als Praktikant bei Daimler. Und mein Eindruck ist, dass Magazino von der Hierarchie sehr stark technisch getrieben ist, das heißt bevor es überhaupt wirklich Hierarchiestufen gab und auch danach wird eigentlich alles diskutiert. Entscheidungen werden getroffen, indem man sich zusammensetzt und Argumente austauscht und irgendwann merkt einer, dass die Argumente des anderen besser sind und ändert seine Meinung und dann arbeiten die Leute auch wieder in einer Richtung. Ich glaube das ist ein Punkt, der in größeren Konzernen so nicht mehr stattfinden kann. Wenn es von oben diktiert wird und man muss dann einer Linie folgen, die man selbst so nicht vertreten kann. In so einer kleinen Firma wie Magazino wird eher aufs Argument geschaut und tendenziell weniger darauf, wer das Argument äußert.

Aktuell dreht sich bei Magazino alles um TORU, den mobilen Kommissionier-Roboter. Was ist an TORU so besonders im Gegensatz zu bisherigen Robotersystemen in der Logistik?

Ulrich: Manipulation und autonomes Fahren in einem – das ist was TORU ein bisschen allein stellt, da gibt es nicht viele, die das machen. Es gibt vielleicht autonome Gabelstapler für makroskopischere Objekte, aber das war es schon fast. Das heißt, dass ist ein sehr kleiner Markt bisher, aber ein sehr großes Produktfeld mit hohen Anforderungen.

Moritz: Also im Vergleich zu klassischen Logistikautomatisierungen, abgesehen von Gabelstaplern, sind es meist Installationen, fest installierte Anlagen, die man projektieren, planen muss, die aber auch eine Immobilie sind. Im Vergleich dazu ist TORU ein Gerät, das in bestehende Infrastruktur eingefügt werden kann. Er kommt rein wie ein Mensch und muss sich dann zurechtfinden. Im Gegensatz zu klassischen Industrierobotern verhält er sich deutlich autonomer. Zur Programmierzeit kann man noch nicht exakt festlegen, an welche Koordinate der Greifer letztendlich fahren wird, wo exakt das Buch ist, weil man es nicht weiß und weil andere Menschen dieses Buch ablegen. Wenn er losfährt, weiß er noch nicht genau bis ins letzte Detail, was er tun wird, sondern muss diese Entscheidung und diese Anpassung zur Laufzeit treffen. Das ist der große Unterschied zu anderen Robotern in der Fertigung und Logistik.

Könnt ihr bitte kurz erklären, wie man so einen autonomen mobilen Roboter programmiert – im Gegensatz zu klassischen Industrierobotern – und wo die Herausforderungen liegen?

Moritz: Das Kontrollprogramm ist nicht bis ins letzte Detail, also nicht bis auf einzelne Koordinatenpunkte, die er abfahren muss, festgelegt. Er muss so nah an das Regal fahren, dass er das Objekt sieht; erst danach kann er das Objekt erkennen, seine Position bestimmen und daraus dann die folgenden Aktionen parametrisieren und anpassen. Man muss sich in mehreren Iterationen annähern und man muss währenddessen schauen, ob Dinge schiefgelaufen, ob Fehler aufgetreten sind und wie man diese Fehler behandeln muss. Letztendlich funktioniert das so, dass der Roboter kein ganz festes Programm hat, was er abspult, sondern eine Sammlung von Verhaltensregeln, die unter bestimmten Bedingungen sagen, welche Aktionen zu machen sind.

Kann man sich diese Regeln als „wenn…dann“-Regeln vorstellen?

Nikolas: Es handelt sich nicht um binäre Entscheidungen, sondern man baut einen Messwert in diese Regel ein. Es geht nicht um simple ja/nein-Fragen, sondern deutlich komplexere Antworten auch auf Zwischenfragen, die gelöst werden müssen.

Moritz: Man hat viele verschiedene Strukturen: „Mache das, bis etwas passiert“ oder „wenn der Wert so ist, geh nach rechts, sonst nach links“ oder „führe eine Aufgabe aus und wenn ein Fehler auftritt, versuche diese verschiedenen Methoden, um den Fehler zu beheben und zwar in der folgenden Reihenfolge. Wenn eine dieser Fehlerbehebungsmethoden erfolgreich war, mach mit deiner eigentlichen Aufgabe weiter“ oder „versuche zwei Sachen parallel und wenn eine erfolgreich ist, dann brich ab“. Das sind deutlich komplexere Strukturen als in der klassischen Automatisierung, wo man vor allem eine bestimmte Schleife abgearbeitet hat. Dort hat man immer in der gleichen Reihenfolge die gleichen Aktionen ausgeführt.

Ulrich: Es gibt aber auch Ähnlichkeiten: Wenn wir einmal das Buch gefunden haben, ist unser Ablauf ganz klassische Automatisierung. Das was der Buchgreifer macht, ist ein echtes Automatisierungsthema – wir haben die Synchronisierung zwischen den Motoren und überwachen Motorströme. Bis wir in die Situation kommen, müssen wir extrem viel Sensorik verwenden, das ist die Mehrkomplexität, die andere nicht haben. Das Niveau verschiebt sich komplett und dadurch wird unser Handlungsraum auch größer.

Wie weit seid ihr mit der Programmierung von TORU?

Moritz: Mit der aktuellen Produktversion von TORU konzentrieren wir uns auf Bücher und boxförmige Objekte. Da geht es darum, wie man mit diesem beschränkten Objektspektrum TORU in der Zielumgebung zum Laufen bekommt. Wenn man annimmt, wir sind in einem Lager, dann ist es ein großer Schritt, dass sich der Roboter im Lager zurechtfinden, dass er navigieren, dass er sich selbstständig aufladen kann und dass er in der Lage ist, Aufträge von außen vom Warenwirtschaftssystem zu bekommen und abzuarbeiten, usw. Das wird hinterher für die meisten TORUs sehr ähnlich sein. Sobald man das Objektspektrum etwas erweitert, wird es allerdings deutlich schwieriger, diese Objekte zu erkennen und zu greifen. Im Moment arbeiten wir daran, die Navigationsmethoden von TORU auf eine große Umgebung zu skalieren, die Roboter in die Prozesse und das Warenwirtschaftssystem der Kunden einzubinden und den Dauerbetrieb mit automatischem Aufladen zu ermöglichen.

Nikolas: Bereits Mitte März werden die ersten TORUs beim Verlagsauslieferer Sigloch die Mitarbeiter beim Picken unterstützen.


Im zweiten Teil des Interviews beurteilen die Robotik-Spezialisten den aktuellen Stand der Robotik-Forschung und den Einfluss von Robotern auf die Gesellschaft. 

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Florin Wahl

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