Pressemitteilung -

Große Belastung für Betroffene: Beitragsschulden bei der Krankenkasse

Jährlich steigende Beitragsschulden in der Gesetzlichen Krankenversicherung zeigen, dass Handlungsbedarf besteht. Mit Beginn des Jahres 2019 sind gesetzliche Neuregelungen in Kraft getreten, die für einen Rückgang der Schuldenlast sorgen sollen. Kendy Temme, Berater für Sozialversicherungsrecht bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD), klärt im Gespräch über die Neuerungen auf und berichtet über die Sorgen und Nöte von Betroffenen, die ihm im Beratungsalltag begegnen.

Herr Temme, Sie beraten im Auftrag der UPD Bürgerinnen und Bürger zu sozialrechtlichen Themen. Ein häufig erwähnter Aspekt sind dabei Beitragsschulden bei der Krankenkasse.Wer ist davon besonders betroffen?

Privatversicherte können sich ebenso verschulden wie alle gesetzlich Versicherten, die freiwillig versichert sind – ihre Krankenkassenbeiträge also selbst zahlen. Hierzu zählen auch Studenten, wenn sie nicht mehr familienversichert sind, und unter Umständen freiwillig versicherte Rentner. Erwerbslose, die noch keine Arbeitslosengeld I-Ansprüche erwirkt und zum Beispiel wegen eines zu hohen Restvermögens keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben, sind ebenfalls freiwillig versichert und können Beitragsschulden haben.

Mit welchen Konsequenzen müssen Versicherte rechnen, wenn sich ihre Beitragsschulden bei der Krankenkasse häufen?

In der Gesetzlichen Krankenversicherung tritt ein sogenanntes Leistungsruhen ein, wenn die Versicherten mit mindestens zwei Monatsbeiträgen in Rückstand geraten und diese trotz Mahnung nicht bezahlen. Dann haben sie nur noch Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenversicherung. Hierzu gehören Untersuchungen zur Früherkennung sowie die Behandlung akuter Schmerzzustände und Erkrankungen. Ob es sich um einen akuten Behandlungsbedarf handelt, obliegt dabei der Entscheidung des Arztes. Bei Frauen finden darüber hinaus noch Behandlungen in Verbindung mit Schwangerschaft und Mutterschaft statt. Was Viele nicht wissen: Auch Krankengeld ist eine Leistung, die ins Ruhen geraten kann. Dies kann schnell problematisch werden für Arbeitnehmer, die Beitragsschulden aus früheren Zeiten haben und arbeitsunfähig krank werden. Auch während des Leistungsruhens sind weiterhin monatliche Beiträge zu zahlen. Nur bei Empfängern von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe darf das Leistungsruhen nicht eintreten bzw. muss sofort beendet werden.

Und wie ist die Situation bei Privatversicherten?

Privatversicherte kommen in einen sogenannten Notlagentarif. Der Leistungsanspruch gleicht dem Leistungsruhen in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Im Unterschied zu dieser müssen verschuldete Versicherte hier aber bei fortlaufender Beitragsschuld keine individuellen Beiträge, sondern den festgelegten Betrag von 140 Euro zahlen. Manchmal kommt es im Zuge dessen zu Missverständnissen: Einige Versicherte möchten im Notlagentarif bleiben, weil er vermeintlich kostengünstig ist und ihnen die hier erbrachten Leistungen ausreichen. Es handelt sich jedoch nicht um einen wählbaren Tarif, sondern um die Konsequenz aus der Beitragsschuld. Und je älter bzw. kränker Versicherte sind, desto weniger reichen die Leistungen aus dem Notlagentarif aus.

Gibt es weitere Unterschiede zur Gesetzlichen Krankenversicherung?

Die Mahnfristen unterscheiden sich. Der private Versicherer muss zweimal mahnen. In dem Moment, in dem die zweite Mahnung an den Versicherten geschickt wird und die Beitragsschulden höher sind als zu Beginn, ruht der Vertrag. Sobald die Beitragsschulden bezahlt sind, tritt der ursprüngliche Vertrag wieder in Kraft und löst den Notlagentarif ab. In der Konsequenz greifen hier sofort wieder die hohen Prämien, was in einer Negativspirale enden kann.

Ändert sich etwas am Versicherungsschutz für mitversicherte Kinder oder Ehegatten, wenn es zu Beitragsschulden gekommen ist?

Nein, die Mitversicherten haben vollen Leistungsanspruch. Familienversicherte Kinder oder Ehegatten sind selbst keine Mitglieder der Krankenkasse und der Gesetzgeber hat klar geregelt, dass lediglich die Leistungen für das Mitglied ruhen.

Am 01.01.2019 sind gesetzliche Neuregelungen in Kraft getreten, die zu einer Senkung der Beitragsschulden führen sollen. Um welche Änderungen handelt es sich konkret?

Die Mindestbemessungsgrenze für die hauptberuflich Selbstständigen wurden auf ein niedrigeres Niveau reduziert. Bis 2018 lag die Mindestbemessungsgrenze für Selbstständige bei 2.283,75 Euro, während für die sonstigen freiwillig Versicherten mit 1.015 Euro gerechnet wurde. In der Folge mussten Selbstständige mit geringeren Einkünften als 2.283,75 Euro trotzdem Beiträge gerechnet auf diese festgelegte Mindestsumme zahlen. Seit Anfang 2019 beträgt die Mindestbemessungsgrundlage für freiwillige Mitglieder, auch hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige, 1.038,33 Euro. Weiter sind die Krankenkassen außerdem dazu verpflichtet, Versicherte darauf hinzuweisen, dass bei Hilfsbedürftigkeit die zuständigen Ämter involviert werden können, um ein Leistungsruhen zu verhindern.

Welche Ursachen für Beitragsschulden gibt es?

Die Gründe sind vielfältig. Häufig fühlen sich Betroffene überfordert. Wenn sie die versicherungsrechtlichen Hintergründe nicht kennen und die Schreiben ihrer Krankenkasse nicht verstehen, reagieren einige lieber gar nicht und hoffen, dass sich die Angelegenheit irgendwann in Wohlgefallen auflöst. Aber das tut sie eben nicht.

Mit welchen Schreiben ihrer Krankenkasse müssen Betroffene denn rechnen?

Krankenkassen können von freiwillig Versicherten Nachweise zu ihren beitragspflichtigen Einnahmen verlangen, zum Beispiel in Form eines Steuerbescheids. Informieren Versicherte ihre Krankenkasse auf Anfrage nicht über ihre Einkommensverhältnisse, ist diese verpflichtet, sie vorerst in die höchste Beitragsstufe einzugruppieren. Dies kann schnell zu einer hohen Beitragsschuld führen, denn die Betroffenen erhalten einen Beitragsbescheid zur Zahlung von monatlich knapp 800 Euro. Wer drei Monate lang nicht auf die Schreiben seiner Krankenkasse reagiert, muss also bereits 2.400 Euro zahlen.

Welche Möglichkeiten haben Versicherte, um eine Korrektur ihrer Beitragseinstufung vorzunehmen?

Wenn das Mitglied nach Einstufung in den Höchstbetrag innerhalb von zwölf Monaten die gewünschten Informationen nachreicht, muss die Einstufung anhand des dann vorliegenden Einkommensnachweises korrigiert werden. Seit 2019 ist dies durch den Gesetzgeber neu geregelt. 2018 betrug die Zeitspanne nur drei Monate und in den Jahren zuvor war eine Korrektur gar nicht möglich.

Schulden zu haben, ist für die meisten Menschen eine bedrohliche Situation. Welche Möglichkeiten haben Betroffene, das Leistungsruhen zu beenden?

Sie können entweder die volle Beitragssumme bezahlen oder mit der Krankenkasse eine Ratenzahlung vereinbaren. Gesetzlich besteht die Möglichkeit, das Leistungsruhen bei zuverlässiger Ratenzahlung aufzuheben, die Krankenkassen haben hier jedoch einen Ermessensspielraum. Die UPD gibt Ratsuchenden daher mit auf den Weg, eine Ratenvereinbarung schriftlich zu beantragen und gleichzeitig angemessene Raten mit anzubieten.

In welchem Zeitraum sollten die Schulden abgetragen sein?

Der GKV-Spitzenverband hält eine Rückzahlung der Schulden innerhalb von zwölf Monaten für angemessen. Säumniszuschläge werden dann gestundet. Jedoch kann die Krankenkasse eine angemessene Verzinsung erheben. Dies regeln Krankenkassen individuell. Beitragsschulden unterliegen allerdings einer Verjährungsfrist von vier Jahren. Wenn die Krankenkasse erst nach fünf Jahren Beiträge einfordert, kann dies also bewirken, dass sich die Gesamtschuld reduziert.

Was kommt auf Versicherte zu, denen aktuell finanzielle Mittel zur Rückzahlung fehlen?

Zu ermitteln ist, inwieweit die Schulden zu pfänden sind. Krankenkassen haben eigene Vollstreckungsabteilungen oder beauftragen den Zoll zu prüfen, ob eine Pfändung durchgeführt werden kann. Bei sehr hohen Schulden besteht die Möglichkeit, einen Schuldnerberater in Anspruch zu nehmen.

Wie kann die UPD Ratsuchenden helfen?

Die UPD kann Ratsuchende über die Rechtslage aufklären. In der Beratung geht es vor allem darum, verständlich zu erklären, warum sie aus krankenversicherungsrechtlicher Sicht in diese Situation geraten sind. In einem zweiten Schritt kann der Berater ermitteln, wie weit die Problematik bereits vorangeschritten ist und ob bzw. welche Optionen bestehen, um eine Korrektur zu erwirken. Die UPD erläutert komplexe Sachverhalte und klären auf, was vermutlich auf den Versicherten zukommt. Außerdem informiert sie Ratsuchende über ihre Möglichkeiten. Somit bietet die Beratung Hilfe zur Selbsthilfe und ermutigt Ratsuchende, ihre Rechte einzufordern.

Welche Informationen sollten Ratsuchende zu der Beratung mitbringen?

Die UPD nimmt keine individuelle Fallbewertung vor. Trotzdem ist es sinnvoll, wenn Ratsuchende die Schreiben ihrer Krankenkassen zur Beratung mitbringen, damit sich der Berater einen Überblick verschaffen und das Ausmaß der Schulden erfassen kann. Zudem kann er prüfen, ob die Briefe Rechtsbehelfsbelehrungen enthalten und ob Fristen einzuhalten sind. Oftmals verstehen Versicherte die Inhalte der Schreiben nicht bis ins Detail und sind erleichtert, wenn sie von den Beratern erfahren, was als nächstes zu tun ist.

Was können Versicherte tun, um nicht in die Schuldenfalle zu geraten?

Versicherte sollten Fragen stellen und ihren Anspruch auf eine vernünftige Beratung nach geltender Rechtslage durch ihre Krankenkasse wahrnehmen. Dabei sollten sie Anfragen schriftlich und nicht telefonisch stellen, um neue Unklarheiten zu vermeiden. Die UPD hat den Auftrag, Ratsuchenden zu helfen, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden und daher fordern auch wir dazu auf, Fragen zu stellen.

Herr Temme, vielen Dank für das Gespräch.


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Über die Unabhängige Patientenberatung Deutschland, UPD

Die UPD Patientenberatung Deutschland gGmbH (UPD) mit Sitz in Berlin ist eine gemeinnützige Einrichtung. Sie hilft Ratsuchenden, sich im deutschen Gesundheitssystem besser zurechtzufinden und Entscheidungen im Hinblick auf medizinische oder sozialrechtliche Gesundheitsfragenselbstbestimmt, eigenverantwortlich und auf informierter Grundlage zu treffen.

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Die Adressen der 30 Vor-Ort-Beratungsstellen sowie eine Übersicht über die 100 Städte, in denen das Beratungsmobil Halt macht, stehen unter www.patientenberatung.de.

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Markus Hüttmann

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