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Können Minijobs das Integrationsproblem lösen?

Wie gelingt die Integration von Flüchtlingen und anderen Neuankömmlingen? Wie sorgen wir dafür, dass so viele wie möglich schnell eine Arbeit bekommen? Sind Mini- und „einfache Jobs“ der richtige Weg für Schweden? Diese und ähnliche Fragen wurden beim diesjährigen Seminar der Deutsch-Schwedischen Handelskammer während der Politikerwoche auf Gotland diskutiert. In der mit schwedischen und deutschen Wirtschaftsexperten besetzen Diskussionsrunde wurden eine Reihe neuer Vorschläge vorgebracht.

„Wir werden in den kommenden Jahren enorme Summen in Bildung investieren müssen. Etwa die Hälfte der Menschen, die zu uns gekommen ist, hat keine sekundäre Schulbildung. Ohne die ist das Risiko aber sehr hoch, dass man in Schweden keine Arbeit finden wird – ganz unabhängig davon, ob man hier aufgewachsen oder gerade erst hergekommen ist. Wir werden außerdem staatliche Subventionen benötigen, um Jobs zu schaffen, mit denen der erste Schritt auf den Arbeitsmarkt gelingen kann. Die schwedischen ROT- und RUT-Reformen [Steuererleichterungen auf handwerkliche und Haushaltsdienstleistungen, Anm. d. Red.] waren in dieser Hinsicht bereits sehr erfolgreich, da sie einen legalen Markt für Dienstleistungen geschaffen haben, die früher nicht nachgefragt oder nicht besteuert wurden. Es hat sich gezeigt, dass sich die Reformen nahezu selbst finanzieren, und ich sehe keinen Grund, warum wir das Prinzip nicht auch auf andere Bereiche ausweiten könnten“, sagte Anna Breman, Chefvolkswirtin der schwedischen Bank Swedbank, zu Beginn der von der Handelskammer organisierten Podiumsdiskussion.

Qualifikation für Berufe mit Fachkräftemangel

Ola Pettersson, Chefvolkswirt des Gewerkschaftsbundes LO, stimmte Breman darin zu, dass es Bildungs- und anderer politischer Maßnahmen bedürfe, um die Integration der vielen Neuankömmlinge zu schaffen. Minijobs und eine mögliche Ausweitung des ROT/RUT-Systems sieht der Gewerkschafter jedoch äußerst kritisch:

„In Schweden Minijobs einzuführen wäre eine furchtbare Entscheidung. Man müsste die Löhne sehr stark senken, damit es für die Wirtschaft überhaupt von Interesse wäre, und das würde zu sozialen Effekten führen, die, wie ich glaube, niemand haben will. Außerdem lösen Minijobs nicht unser Hauptproblem auf dem Arbeitsmarkt. In Schweden gibt es gar keine große Nachfrage nach ‚einfachen Jobs‘. Was wir brauchen, sind mehr Arbeitskräfte im Bildungs-, im Gesundheits- und im Bausektor. Warum setzen wir uns nicht zum Ziel, für diese Bereiche qualifiziertes Personal zu finden oder auszubilden?“

Musterung von Neuankömmlingen

Eine bessere Übereinstimmung zwischen den Branchen, die Personal suchen, und den verfügbaren Arbeitskräften herzustellen, ist auch für Günther Mårder, Geschäftsführer der schwedischen Unternehmerorganisation Företagarna, ein Schlüsselthema. Zur Lösung des Problems präsentierte er eine neue Idee:

„Früher mussten alle 18-jährigen Männer zur Musterung, wo man mithilfe verschiedener Tests untersucht hat, für welche militärischen Aufgaben man am besten geeignet ist. Diese Methode könnten wir doch auch zum Zweck der Integration auf dem Arbeitsmarkt nutzen. Wir könnten alle, die neu bei uns ankommen, testen, schauen, worin sie gut sind und welche Potenziale sie haben, und dann für jeden Einzelnen ein Karriereprofil erstellen. Viele Behörden und andere Akteure müssten dafür zusammenarbeiten, aber wir bekämen einen guten Überblick über die Möglichkeiten und könnten unsere Maßnahmen gezielt ausrichten“, erklärte er.

Günther Mårder ist darüber hinaus der Meinung, dass Schweden eine Art von Minijob für gering qualifizierte Arbeitskräfte braucht: „Viele in Schweden sagen, dass man von seinem Lohn leben können muss. Wir haben heute aber keinerlei Zwischenstufe zwischen von seinem Lohn leben können und überhaupt keinen Lohn erhalten. Ich glaube, dass es besser ist, irgendeinen Job – sei es in Teilzeit oder mit geringer Bezahlung – als gar keine Arbeit zu haben.“

Perspektiven durch Beschäftigung

„Für die Gesellschaft und den Einzelnen ist es wichtig, dass man etwas Sinnvolles zu tun hat. Hat man gar keine Beschäftigung, führt das nur zu Problemen. In meinem Heimatort in Deutschland gibt es eine Einrichtung, in der Arbeitslose diverse Sachen herstellen und dadurch neue Fertigkeiten erlernen können. Sie verdienen dort nicht viel, aber das ist deutlich besser, als wenn sie nur zu Hause rumhängen und gar nichts zu tun haben. Bekommt man als junger Flüchtling dann noch die Möglichkeit, die jeweilige Sprache zu erlernen, gibt es viele, die das als Chance begreifen, sich hochzuarbeiten und eine Karriere anzustreben“, fügte Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank, hinzu.

Hellmeyer hatte den Teilnehmern des Seminars vor der Podiumsdiskussion einen Überblick über die aktuelle wirtschaftliche und politische Lage in Europa gegeben. Für ihn sind Minijobs eine gute Möglichkeit, manchen Personen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Er warnte mit Blick auf die Erfahrungen aus Deutschland aber davor, dass das System von den Arbeitgebern leicht ausgenutzt werden könne, um Festanstellungen zu vermeiden.

Mehr Zusammenarbeit vonnöten

Was bedeutet all dies jetzt für die nahe Zukunft? Werden Schweden, Deutschland und andere Länder es schaffen, die zahlreichen neu angekommenen Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren und ihre Kenntnisse und ihr Potenzial zu nutzen? Die Diskussionsteilnehmer waren sich hierbei nicht einig. Während Günther Mårder und Ola Pettersson erklärten, sie seien optimistisch, was Schweden angeht, forderte Anna Breman mehr Zusammenarbeit auf breiter Front.

„Nur wenige Länder auf der Welt haben die Voraussetzungen dafür, diese Herausforderung zu meistern. Schweden mit seiner starken Wirtschaft, seinem Wohlfahrtsstaat und seiner guten Zusammenarbeit zwischen den Tarifpartnern ist eines von diesen Ländern. Aber momentan sehe ich nicht, dass es wirklich funktioniert. Wie in einigen anderen Bereichen auch glaube ich, dass wir eine breite politische Übereinkunft brauchen werden, um die Jobfrage zu lösen“, schloss sie ab.

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