Blog-Eintrag -

The sound of PR - oder: warum Redaktionen und Pressestellen einander brauchen // Erfahrungsbericht #kk16

Wer Lust hat auf schöne, neugierige und fitte Leute, fährt schon seit Jahren zum Kommunikationskongress, dem Jahresevent der deutschen Pressesprecher.

Nein, dieser Satz ist weder gekauft noch eingeflüstert. Ich schreibe ihn, weil es in meinen Augen stimmt. Und ich formuliere ihn genau so, weil ich in einer anderen Zeit wahrscheinlich Journalistin geworden wäre und ein gut geschriebener Text mich glücklich macht. Bin ich damit jetzt ein Blogger, eine Journalistin oder - aus Sicht des BdP - einer seiner Influencer?

Gut für die Presseabteilung allemal. Stichwort Return on Investment (ROI, Stichwort Earned Media).

Die Glasdecke der PR

Und schlecht für die eh schon unterbesetzten Redaktionen. Der Galaredner der "Speaker's Night" Sebastian Turner warb offen um mehr Anzeigen in den Medien. Das ist sicher nichts Neues für einen Medienvertreter, der weiß, wie der ROI des Verlagswesens derzeit steht. Aus beruflichen Gründen ein großer Fan von Fragen, fand ich seine besonders interessant: 

Kann die PR mit ihren Mitteln genügend "Wiederholung" erreichen, um die Marke (als solche) im Gedächtnis der Menschen zu verankern? 

Damit hatte der Aufsichtsrat der Holtzbrinck-Mediengruppe einen Punkt gemacht: Was passiert eigentlich, wenn PR erfolgreich ist? Wo ist denn die Glasdecke im unbezahlten Verhältnis zwischen Pressestelle und (schmaler und schmaler werdender) Redaktion? Turners Hypothese: Werbung ist notwendig, damit PR ihr Ziel erreicht. Obwohl, oder gerade weil sehr viele Pressestellen mit ehemaligen Journalisten ausgestattet würden (die Inhalte also redaktionell bedeutsamer werden), sei der Journalist per se für Neuheit und nicht für Repetition zuständig. 

Ich hatte danach den Eindruck, dass manch einer nicht unhöflich sein wollte und sagt: naja,vielleicht ist es ja eh so, dass Journalisten in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ihre eigene Gegenöffentlichkeit schaffen. Stellt man sich einen Verband für Umweltschutz und einen Chemiekonzern vor, die mit guten, sogar sauguten Stories die Öffentlichkeit versuchen auf ihre Seite zu ziehen, ist diese Arena zumindest längst eröffnet. Schaut man sich außerdem das vollgepackte "Fortbildungsprogramm" für PR-Mitarbeiter auf dem Kongress an und erlebt diese offenen und schlauen Leute, spürt man eine große Zuversicht, dass die Öffnung des Dialogs zwischen dem direkten Verbraucher und dem Unternehmen mit geeigneten Mitteln gelingt. Nicht selten hörte man, dass man in den Unternehmen schon weiter sei als das, was man in den Workshops gehört hat. Und nicht umsonst waren die Panels "der Großen" allesamt überfüllt. Frei nach dem Motto: "Erzählt mal, wie kriegt ihr das hin? Was können wir uns von eurer Pressearbeit abschauen?" Die Turnersche Parabel spielte selten eine Rolle, was - meine These - auch daran liegt, dass die Anwesenden in den letzten Jahren ihre Tätigkeit eher aktiver wahrgenommen haben dürften: es gibt nicht nur Journalisten, es gibt auch eine Vielzahl anderer Zielgruppen, die ich mit meiner Kommunikation ansprechen kann.

Vielleicht ist die Frage eine ganz andere: 

Wer soll denn künftig über uns berichten, wer soll uns künftig informieren? Influencer oder Journalisten?

Eines der häufigeren Begriffe der Workshop- und Panel-Titel war neben Krise(-nkommunikation), Newsdesk, Digitalisierung und Storytelling der Begriff Influencer. Menschen, die Einfluss nehmen, sind wir alle. Influencer sind Menschen, die Einfluss nehmen und dafür ein mediales Format beherrschen: Text, Bild oder Bewegtbild. Letzteres übrigens besonders gern. Dazu drei Dinge:

  • Der Weihnachtsspot 2015 von Edeka, ja, DER Weihnachtsspot, war (auch oder: nur?) deshalb so irre erfolgreich, weil sehr viele Influencer gleichzeitig dafür sorgten, "dass das Ding viral" ging. Nun ist es mittlerweile (zum Glück) so, dass nach dieser ersten Zündung der unkontrollierbare Raum der "virtuellen Öffentlichkeit" betreten wird, die den Weihnachtsspot aussortiert hätte, wäre er nicht gut genug gewesen. Aber das Video als solches ging mitnichten selbstständig "um die Welt".
  • Nur 2% der mit Pressearbeit adressierten Influencer hätten wirklich Zeit und Lust, sich mit der jeweiligen Botschaft auseinanderzusetzen - und diese sog. "Alpha Audience" sei es, um die man sich wirklich kümmern muss (um Earned Media zu erhalten).
  • Ein häufiger Vorwurf in Richtung "Influencer" ist, dass sie opportunistisch seien. Nehmen wir Bibi -  ja, ich habe auch eine Tochter und deshalb kenne ich Bibis Beautysalon. Bibi wurde für ihre (sicher bezahlten) Produktvorstellungen in den YouTube-Videos von ihrem "influencten" Publikum ziemlich kritisiert. Meine steile These ist, dass der Dame in ihrem vielleicht so bewegten Leben die Geschichten ausgegangen sind und / oder sie ihre Videos neuerdings mit unverstellterem Blick aufs Konto macht.

Der große Unterschied

Es gibt einen ziemlich großen Unterschied zwischen einem Influencer und einem Journalisten. Er besteht übrigens nicht darin, dass die Berufsbezeichnung des einen geschützt sei: jede und jeder kann sich jederzeit so oder so nennen - wobei der Influencer sich selbst lieber als "Evangelist" oder "Trendsetter" oder ähnliches bezeichnet, während ein Blogger sich nicht selten schon Journalist/in nennt, ohne, dass einer sagen könnte: ja, stimmt, du bist es (eine Frage, die sich die Veranstaltung "Besser Online" des DJV auch gewidmet hat).
Der Unterschied besteht in der (Selbst-)Wahrnehmung: Ein Influencer hat auch dann noch ein gutes Image, wenn er offen für eine Marke wirbt (Hauptsache, er macht es originell). Influencer dürfen beeinflusst sein. Journalisten niemals. Deshalb wiegen Vorwürfe des Native Advertisment, das vor allem Schönheits-,Frauen- und Männermagazine betrifft, besonders schwer. Schleichwerbung mag keiner - es ist die Urform der "Verarsche", die Werbung immer vorgeworfen wird: nicht gefragt und marktschreierisch produktorientiert. Mein radikaler Vorschlag an alle Magazinformate, die seitenlange "Empfehlungen der Redaktion" veröffentlichen: nennt Euch einfach Influencer-Magazin. Warum? Weil sowohl die Absender (die Unternehmen) als auch die Empfänger (die Leser) souverän genug sind, zu sagen (oder zu erkennen), dass dies eine "vorsortierte Wahrheit" ist. Wer es zu "dolle" treibt, wie eine Bibi oder andere, wird von einem aufgeklärten Publikum darüber schon in Kenntnis gesetzt.

Verlage selbst verdienen ihr Geld mit subjektiven Informationen

Ich muss nicht betonen, dass wir an einer unabhängigen Journaille festhalten sollten. Ich denke im Gegensatz zu Herrn Turner allerdings nicht, dass eine Anzeige in einem Magazin (also eine Drehung rückwärts) die Lösung für eine spielerische und souveräne Öffentlichkeitsarbeit im Zeitalter von Influencer Relations ist. Erfolgreiche Neugründungen von Agenturen unter dem Schirm von Verlagshäusern zeigen, dass Verlage einen Weg werden finden müssen, das eine vom anderen Angebot zu trennen. Ihr eines ist objektive Information (Journalismus). Ihr anderes ist subjektive Information (PR- oder Content-Agentur). Ja, auch Verlage verdienen längst ihr Geld damit, das beste aus ihren redaktionellen Fähigkeiten (und Netzwerken) zu machen. Das kann man apokalyptisch finden. Ist aber längst eine Realität - ebenso wie fehlende Anzeigen und exzellente Pressestellenarbeiter eine andere sind. Diese Binarität aufzuheben, sollte - davon habe ich allerdings auf dem Branchentreffen nichts sehen können - keiner aufheben wollen.

Im Gegenteil: Man wundert sich beinahe, dass die Kommerzialisierung des Internets erst so spät bei den Verlagen angelangt ist, deren PayWalls langsam erfolgsversprechender - weil nutzerorientierter - sind. Gute Presse ist nie umsonst: nicht für Verleger, die wahrscheinlich Subventionsformate entwickeln müssen. Nicht für Unternehmer, deren Pressearbeit eher umfangreicher werden dürfte. Und nicht für Verbraucher, die mit einer guten Kampagne möglicherweise nachdrücklicher als bislang davon überzeugt werden könnten, dass guter Journalismus Not tut. Ein Job auch für einen der fitten Presseprofis vom #kk16?

Anja Mutschler
Managing Parnter

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