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Jens J. Wischmann, Geschäftsführer Vereinigung der Deutschen Sanitärwirtschaft e.V. (VDS)
Jens J. Wischmann, Geschäftsführer Vereinigung der Deutschen Sanitärwirtschaft e.V. (VDS)

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Interview Jens J. Wischmann: Individuelle Badkultur

Seit 2009 begleitet die Trendplattform Pop up my Bathroom die Entwicklungen im Bad-Design. In den Installationen, Foto-Inszenierungen und Blog-Beiträgen von Pop up my Bathroom wird der Einfluss gesellschaftlicher Entwicklungen, aktueller Gestaltungstrends und technologischer Neuerungen auf die Welt des Badezimmers untersucht – und zwar auf eine teils recht experimentelle Weise. Die dabei entstehenden Bilder stellen die Lösungsangebote der Sanitärindustrie in den direkten Kontext zu den dargestellten Trends. Dadurch stehen die abstrakte Idee und das konkrete Produkt auf einmal auf derselben Bühne: Badewanne trifft auf Mode, Duschabtrennung auf LED-Licht und Dusch-WC auf Fernbedienung.

Die alle zwei Jahre anlässlich der internationalen Leitmesse der Sanitärbranche, der ISH in Frankfurt neu aufgelegte Studie fasst die Trends im Badezimmer für die Fachwelt wie für die Konsumenten zusammen. Dabei soll Pop up my Bathroom weniger Produktwerbung machen als Möglichkeiten aufzeigen, in welche Richtung sich die Badkultur entwickeln könnte. Und was man aus dem eigenen Badezimmer alles machen kann, wenn man nur will.

Etabliert wurde Pop up my Bathroom von der Messe Frankfurt, Ausrichter der Weltleitmesse für den Verbund aus Wasser und Energie, und der Vereinigung der Deutschen Sanitärwirtschaft e.V. Deren Geschäftsführer, Jens J. Wischmann, stellt hier die neue Kampagne und ihr Motto vor.

Zur ISH 2017 initiieren Sie wieder ein Trend-Forum im Rahmen der Kampagne Pop up my Bathroom. Diesmal mit dem Schwerpunkt „Individualisierung im Badezimmer“. Warum dieses Thema?

Wir wollen mit der Auswahl des Schwerpunktthemas zu jeder ISH ja nicht nur die Entwicklungen in der Sanitärwirtschaft aufzeigen – wir wollen auch ein Zeichen setzen. Zur ISH 2013 haben wir uns inhaltlich mit den Bedürfnissen von Menschen im Badezimmer auseinandergesetzt, zur letzten ISH im Jahre 2015 mit dem Generationenbad unter dem Motto „Freibad“. Mit beiden Themen haben wir in der Öffentlichkeit und auch innerhalb der Branche neue Wege aufgezeigt und Wachstumsmärkte profiliert. Ein weiterer Wachstumsmarkt entwickelt sich aus unserer Sicht durch den anhaltenden gesellschaftlichen Trend zur Individualisierung und die damit sich verändernden Anforderungen an das Badezimmer.

Wie meinen Sie das?

Der schon sehr arg beanspruchte Satz „Die Entwicklung des Badezimmers von der Nasszelle zum Wohnbadezimmer“ ist in den letzten Jahren in der Gesellschaft wirklich angekommen und hat Spuren hinterlassen. Das Badezimmer hat in den Augen des Nutzers einen höheren Stellenwert erhalten. Inzwischen werden standardisierte Eigentumswohnungen oder Reihenhäuser besser verkauft, wenn sie sich über eine höherwertige Ausstattung des Badezimmers differenzieren können. Architekten behandeln das Bad auch nicht mehr per se als das ungeliebte Stiefkind der Wohnung. Viele Menschen haben erkannt, dass das Badezimmer nicht nur ein Schlüssel für ein langes, unabhängiges Leben im Alter ist. Vielmehr ist das Bad ein zusätzlicher Akku, mit dem wir unserem Körper den immer notwendiger werdenden Reload gönnen – und das ganz entspannt zuhause, egal, ob ich mich nun einfach in die Badewanne legen will oder lieber auf einem Laufband trainiere. Das Bad wird zunehmend zu einem Raum mit hoher Aufenthaltsqualität. Heute können sich viele Menschen mit ihrem Badezimmer identifizieren.

Bei Individualisierung denken Sie aber wohl nicht nur an die Möglichkeit, zwischen 20 verschiedenen WCs zu wählen?

Das gehört bestimmt auch dazu. Vom innovativen Dusch-WC bis hin zum hygienischen Rimless-WC ist gerade in dieser Produktkategorie in den letzten Jahren viel passiert. Es geht aber auch ganz allgemein um den Zuschnitt des Bades, darum, was ich als Nutzer von meinem Bad erwarte. Welchen Look ich dem Raum geben will, und wie viel Raum für welche Funktionen eingeplant werden? Wer heute sein Bad plant, sollte nicht daran denken, was standardmäßig in ein Bad gehört, sondern daran, was er für sich braucht. Zum Beispiel will nicht jeder, der ein großes Bad hat, auch eine Badewanne. Vielleicht nutzt er/sie den Platz neben der Dusche lieber für einen Box-Sack, ein Meditationskissen oder eine Frisierkommode. Oder eine Mini-Sauna. Und denken Sie nur einmal an das Thema Ergonomie! Neben den zusätzlichen Design-Varianten bietet etwa Ideal Standard ein WC für gewichtige Menschen an, die mit der DIN-Norm-Größe eines durchschnittlichen deutschen WC nichts anfangen können. Wenn sich eine Bevölkerungsgruppe verändert, müssen sich auch Produkte im Badezimmer anpassen. Bestes Beispiel ist hier die Erfolgsstory der bodenebenen Dusche, die Lifestyle-Elemente und komfortable Gebrauchsfunktion in einem Produkt vereint.

Wie integrieren die Hersteller denn Angebote zur Individualisierung?

Zusammen mit unserer Trend-Research-Agentur far.consulting sind wir durch die Kollektionen und Angebotsbereiche der Sanitärhersteller gegangen, und uns ist aufgefallen, dass die Möglichkeit der Individualisierung schon jetzt auf fast allen Produktebenen erfolgen kann. Beispiel 1: Farbe. Wir haben zwar immer noch einen hohen weißen Farbanteil in den Bestandsbädern, doch das Thema Farbe scheint aktuell ein absolutes Top-Thema zu sein. Bei Villeroy & Boch können Sie zum Beispiel aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Farbabstufungen auswählen und können sogar ihre Badewanne nach einem genau definierten Farbton auswählen, nach dem Motto „Colour on Demand“. Beispiel 2: Maßanfertigungen. Waschtische und Waschtisch-Unterschränke können zum Beispiel bei Keuco im Programm Edition 400 auf den Zentimeter genau auf die Raumgegebenheiten abgestimmt werden. Bei burgbad gibt es schneidbare Waschtische aus Keramik – mit umlaufend profilierten und glasierten Kanten. Beispiel 3: die Individualisierung von Oberflächen. Viele Hersteller von Duschabtrennungen, wie zum Beispiel Kermi, bieten die individuelle Gestaltung von Glaswänden per Sandstrahl-Technologie an. Es wird künftig nicht mehr nur großen Firmen oder Hotels vorbehalten sein, das eigene Dekor oder Emblem im Bad zu platzieren, es ist für jedermann zu haben. Warum also nicht mal ein eigenes Muster entwerfen oder das Konterfei von Familienmitgliedern integrieren?

Ist das nicht ziemlich kompliziert und aufwändig?

Eine ganzheitliche Badplanung beinhaltet natürlich die Koordination von verschiedenen Handwerkern und Bestellabläufen. Doch es ist eigentlich vollkommen egal, ob Sie einen Waschtisch in Standardabmessungen über ihren Badplaner oder Installateur bestellen oder einen genau nach Maß gefertigten. Der dreistufige Vertriebsweg der Sanitärbranche ist nicht nur in der Lage, große Mengen an Produkten, wie zum Beispiel Armaturen-Bestseller in die Bäder zu bringen, sondern auch Produkte der Losgröße 1 – also das individuelle Produkt für das individuelle Badezimmer. Und dies erfolgt zunehmend ohne größeren Aufpreis.

Was ist dann unter einer Manufaktur zu verstehen?

Fast jeder deutsche Sanitärhersteller, und hier vor allem bei den Armaturen-Herstellern, hat eine Manufaktur eingerichtet. Hier werden Serienprodukte auf ganz individuelle Einbausituationen oder Bedürfnisse modifiziert. Das geht von einem extra langen Auslauf für eine Armatur bis hin zum eigenen Logo auf dem Keramik-Waschtisch. Letztgenanntes ist auch für den privaten Bereich möglich, wird aber in der Regel gerne von Hotelketten oder Fußballvereinen in Anspruch genommen.

Sie definieren zusätzlich acht Trends, die das Badezimmer aktuell bestimmen bzw. in Zukunft bestimmen werden. Wie passt das mit der Individualisierung zusammen?

Das Thema Individualisierung im Bad ist die große Klammer für acht verschiedene Trends, die aus unserer Sicht einen starken Einfluss haben werden, und zwar auch international. Dies sind zum einen sogenannte Megatrends, wie etwa die Digitalisierung, demographische Entwicklungen oder ökologisch motiviertes Handeln, die nachhaltig Einfluss auf die Nutzung und Gestaltung von Badezimmern haben. Zum anderen haben wir auf Produktebene diverse Trends feststellen können, die vor allem die starke Entwicklung zum wohnlichen Badezimmer unterstützen. So wird etwa das Badezimmer viel modischer. In den letzten 10 bis 15 Jahren wurde ja jegliche modische Ausschmückung im Bad vermieden. Ein Badezimmer muss mindestens 20 Jahre gut aussehen, so lautete die vorherrschende Meinung, und das schien mit Mode nicht in Einklang zu bringen. Design im Bad, das musste vor allem eines sein: zeitlos. Doch zur kommenden ISH 2017 erwarten wir immer mehr modisch geprägte Produkte. Da gibt es trendaffine Oberflächen und Muster, austauschbare Fronten, akzentuierende Leisten und Griffe, Lichteffekte und vieles mehr. Zwar wird sich im Bad als investitionsintensivem Bereich die modische Experimentierlust immer in Grenzen halten. Aber es gibt auch so etwas Mutiges wie die Badewanne und den passenden Waschtisch mit einer Stoffhülle aus wasserabweisendem textilem Material. Solche Innovationen werden oft vom Einsatz neuer Materialien getrieben, die auch im wasserführenden und normalerweise von harten Oberflächen gebildeten Bad lange Jahre Bestand haben.

Und der Megatrend „Digitalisierung“ macht selbst vor dem Badezimmer nicht halt?

Nein, er gehört unbedingt dazu. Das ließ sich ja schon in den letzten Jahren auf der ISH beobachten. Waren dies bisher allerdings eher erste Versuche, Wasser und Strom miteinander zu kombinieren, so können wir heute von einer Revolution im Badezimmer sprechen. Hinter der Wand und hinter dem Spiegel werden komplexe Abläufe von Anwendungen gesteuert. Davon bekommt der Badnutzer nicht viel mit – er kann sich auf individuell programmierte Dusch-Abläufe oder Spa-Anwendungen konzentrieren, die über komfortable Bedienelemente gesteuert werden. Im Objektgeschäft ist das technisierte Badezimmer immer häufiger anzutreffen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir auch eine breite Verwendung im privaten Bereich vermelden können.

Welchen Trend halten Sie für besonders wichtig?

Ich persönlich freue mich einfach, dass das Badezimmer zunehmend wohnlich, farbig und sogar etwas modischer wird. In diesem Zusammenhang erfährt das Bad eine immense Wertsteigerung. Interior Designer, Planer und Architekten sehen im Bad zunehmend einen wichtigen Baustein für das Wohlbefinden des Menschen – und zwar über die gesamte Lebensspanne. Daher ist es für mich überaus wichtig, den Nachhaltigkeits-Aspekt zu betonen. Neben einer recht langen Nutzungsdauer von mindestens 15 Jahren – dies steht übrigens per se für eine gute Qualität und langlebiges Design – haben wir in der Sanitärbranche fast ausschließlich mit ökologisch nachhaltigen Produkten und Materialien zu tun. In Sachen Wassersparen sind wir bei Armaturen schon lange an der unteren noch sinnvollen Einsparungsgrenze angekommen – wir verschwenden also schon lange kein Wasser mehr.

Was bedeutet für Sie das Thema Wasser eigentlich? Geht es da mehr um die Natur und die Ressourcen-Schonung, oder sehen Sie es unter einem eher technischen Blickwinkel?

Unsere Branche muss mit Wasser umgehen können, das ist klar. Aber Wasser ist für unsere Arbeit auch immer mehr als Träger von Erlebnis und Emotionen von Bedeutung, nicht nur als Mittel für Hygienefunktionen. Die Hinwendung zur Natur in unserer hektischen Zeit ist doch nur eine logische Konsequenz. Und das vielfältige Thema Wasser, das mit einer sehr ursprünglichen Körper- und Naturerfahrung verknüpft ist, ist im Badezimmer natürlich permanent greifbar. Aber wir sehen Wasser nicht nur als natürliches Element, sondern als Teil unserer Kultur. Nicht umsonst sind auf der ISH alle wichtigen Wasser-Experten am Start. Und Pfarrer Kneipp war noch nicht einmal der Erste, der um die gesundheitsfördernde Wirkung von Wasser wusste: Viele alte Kulturen entwickelten ihre eigene rituelle und gesundheitsbewusste Badekultur. Heute, wo gesellschaftlich bindende Rituale weggefallen sind, ist es jedem selbst überlassen, seine eigene Badekultur zu entwickeln und zu ritualisieren. Und wenn es nur die Routine der täglichen Dusche ist, die zum kleinen Luxus gestaltet wird. Das private Bad wird künftig dieser individuellen Badekultur entsprechend zusammengestellt werden – eine Kultur, die nicht ohne das Wasser denkbar wäre, die aber auch Elemente beinhaltet, die nichts mit Wasser zu tun haben. Sondern mit Wohnlichkeit, Wärme, Fitness und Ästhetik. Vielleicht sogar mit einem Kaminfeuer. Mit dem eben, was der einzelne Nutzer in seinem Badezimmer sucht.

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Lars Mörs

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Claudia Wanninger

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Pop up my Bathroom, eine Initiative der Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft e.V. (VDS) und der Messe Frankfurt zur ISH, ist eine experimentelle Plattform für Architekten, Badplaner, Interior Designer und Journalisten.