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Markenarbeit im Middle East: “Ich verstehe, warum sich so viele aus dem Markt zurückgezogen haben“

Berlin / Hamburg / München, 17. Oktober 2019: Europäische Agenturen agieren derzeit verstärkt im Nahen Osten. Seit knapp einem Jahr setzt auch Superunion Germany in multinationalen Teams erfolgreich Projekte um, überwiegend in den Bereichen Real Estate, Finanzdienstleistungen und Logistik. Zurzeit werden sieben Kunden aus dem Oman, Qatar, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten betreut. Wieso westliche Agenturen so beliebt sind, wie sich die Arbeit von deutschen Projekten unterscheidet und welche Unterschiede die größten Herausforderungen bieten – sowohl im eigentlichen Branding als auch in der Arbeitskultur – erzählen Tobias Phleps, CEO Superunion Germany, Majdoleen Till, Regional Managing Director und Martin Steinacker, Executive Creative Director im Interview.

Seit einem Jahr ist Superunion in den Golfstaaten tätig. Woran liegt es, dass Unternehmen aus dem Mittleren Osten immer größeres Interesse an einer Zusammenarbeit mit Agenturen aus der westlichen Welt zeigen?

Tobias Phleps: „Die Volatilität des Marktes im Middle East, insbesondere was die Dienstleistungen angeht, ist ein Grund. Keiner kann sich sicher sein, wie lange es eine Agentur dort gibt bzw. wie lange sie ein konstantes Personal zur Verfügung stellt. Die Fluktuation der Mitarbeiter ist signifikant höher als in Westeuropa oder den USA.“

Martin Steinacker: „Ausbildung in der westlichen Welt spielt im Mittleren Osten eine große Rolle. Viele junge Menschen aus der Region studieren oder arbeiten eine Zeit lang im Ausland und haben dadurch starke Verbindungen in den Westen. Außerdem setzt jedes Land in der Region gerade eine eigene Zukunftsvision um, die sie unabhängiger von Erdöl und Gas machen sollen. Eine Öffnung der Länder für ein westliches Leben und Arbeiten gehört dazu und gerade deshalb braucht es die Erfahrung der westlichen Agenturen.“

Majdoleen Till: „Die Beziehungen zu Europa haben sich in den vergangenen Jahren erfolgreich entwickelt und viele Unternehmen aus dem Nahen Osten schauen auf europäische Geschäftsbeispiele auf. Ohne Frage ist Branding eins davon. Branding als eigene Industrie gibt es in den Golfstaaten erst seit dem Jahr 2000 und ist lokal gesehen im Vergleich zu Europa noch recht jung.“

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zwischen unserer Arbeitskultur und der Arbeitskultur im Nahen Osten?

Majdoleen Till: „In meiner Zusammenarbeit mit dem deutschen Team ist mir vor allem aufgefallen, dass es schwierig ist, jemandem kulturell-bedingtes, alltägliches Verhalten beizubringen. Vieles davon kommt nur im Laufe der Zeit und mit der Erfahrung.“

Martin Steinacker: „Mit Sicherheit ist auch die hierarchische Gesellschaft und die damit verbundenen Strukturen in einem Unternehmen einer der größten Unterschiede. In Wirklichkeit entscheidet nur einer – der Ranghöchste. Und das ist unabhängig von der Qualifikation.“

Tobias Phleps: „Unsere Arbeitskultur ist verbindlicher, klarer, zuverlässiger. Dafür ist man in MENA viel entscheidungs- und risikofreudiger. Die Menschen sind es gewohnt, durch Krisen zu gehen und sind viel veränderungsbereiter und anpassungsfähiger als beispielsweise wir Deutschen es sind.“

Die Unterschiede zwischen den Kulturen bietet mit Sicherheit auch einige Herausforderungen. Welche sind die größten?

Tobias Phleps: „Die Volatilität des Marktes bzw. die Nachhaltigkeit des Business sowie die Zahlungsmoral machen die Zusammenarbeit teilweise schwierig. Ich verstehe, warum sich so viele aus dem Markt zurückgezogen haben – unserem Büro vor Ort ging es ja nicht anders. Wir haben nur noch ein Hub in Dubai, die Leistungserbringung erfolgt aus den drei Standorten in Deutschland. Für eine große, internationale Agentur mit hohen Verständnis für den Markt, die aber nicht zwangsläufig physisch im Markt sein muss, ist es ein Paradies – solange keine anderweitigen Auseinandersetzungen eintreten. Es ist und bleibt eine Krisenregion.“

Majdoleen Till: „Neben dem Hierarchie-orientiertem Arbeiten ist auch unser sehr unterschiedliches Timing-Verständnis eine weitere große Herausforderung. In vielerlei Hinsicht tun wir uns immer noch schwer, uns bei Timings zu verpflichten.“

Tobias Phleps: „Das stimmt – es kommt nicht selten vor, dass ein Kunde am Donnerstagabend anruft und bis Sonntag früh eine neue Designroute baucht. Dass wir am Samstag und Sonntag nicht arbeiten, wissen die Entscheider nur bedingt, denn bei ihnen ist der Freitag der Feiertag.“

Welche Unterschiede in Bezug auf Branding gibt es? Wie unterscheidet sich die Arbeit von deutschen Projekten?

Martin Steinacker: „Die Unterschiede sind aus meiner Sicht sehr groß, weil die kulturelle Prägung eine ganz andere ist. Jedes Land im Mittleren Osten hat seine eigenen visuellen Codes, Landesfarben, Symbole, usw. Grundsätzlich geht es im Design weniger um die Differenzierung, sondern mehr darum zu zeigen, dass man als Unternehmen oder Institution dazu gehört. Die visuellen Codes des jeweiligen Landes müssen daher aufgegriffen werden. Aber es gibt auch hier einen Wandel hin zu mehr eigenem Charakter im Erscheinungsbild der Unternehmen. Darum finde ich es so wahnsinnig interessant, dabei zu sein.“

Tobias Phleps: „Auch was den gesamten Projektverlauf angeht, gibt es gravierende Unterschiede. Dort werden alle Projekte vergleichbar zu öffentlichen Ausschreibungen vergeben. Dafür gibt es keinen Kreativpitch. Entscheidungskriterium für eine Agentur sind, nach einem Screening der Referenzen und Kompetenzen, ausschließlich der Projektprozess und der Preis. Danach läuft es in der Regel geschmeidig, es sei denn, eine High-Profile-Persönlichkeit stoppt den ganzen Prozess.“

Was ist das Wichtigste, dass man von einer Zusammenarbeit mit Kunden oder Dienstleistern im Middle East lernen kann – und andersherum?

Tobias Phleps: „Oh je – zu viel – beiderseits! Die Risikobereitschaft, die Investitionsbereitschaft in eine bessere Zukunft für uns alle; das Verständnis, dass sich die Dinge natürlich irgendwann wieder ändern und man auch nie weiß, ob der Schritt jetzt gerade richtig ist, man es aber trotzdem tut – das ist echt etwas, das wir in Deutschland dringend bräuchten. Es muss doch auch inzwischen der Letzte verstanden haben, dass wir in Deutschland mit nichts mehr weltweit führend sind, weil es kein Feld mehr gibt, auf dem uns nicht schon ein anderes Land überholt hat. Wussten Sie, dass unter den TOP 100 Zukunftsunternehmen nur ein deutsches ist? Nämlich SAP auf Platz 38. Vor 10 Jahren standen da noch ganz andere Namen aus Deutschland in der Liste.“

Majdoleen Till: „Meine deutschen Kollegen müssen sich in Geduld üben, wenn es um die Zusammenarbeit mit High-Profile-Persönlichkeiten geht. Das ist in der Regel nie einfach, egal welches Land. Außerdem sollten sie sich bewusst sein, dass der Mittlere Osten viel mehr über Europa weiß als umgekehrt. Andersrum können wir uns noch viel in Sachen Pünktlichkeit aneignen und auch lernen, genau zu wissen, was wir wollen und brauchen.“ 

Was war bis jetzt Ihr persönliches Highlight der Zusammenarbeit?

Tobias Phleps: „Der Oman und das Re-Branding der Oman Aviation Group. Es wurde in beeindruckender Weise implementiert. Da kann sich so mancher unserer Kunden eine Scheibe abschneiden. Aber vielmehr ist der Oman ein tolles Land! Mein absolutes Lieblingsland in der Region. Die Menschen sind unglaublich nett, zuvorkommend, ruhig, charmant, unaufgeregt, ehrlich. Ich kann den Yoga-Touristen, die jährlich nach Indien reisen nur empfehlen, dem Oman mal eine Chance zu geben.“

Martin Steinacker: „Das eine Highlight gibt es für mich nicht, es ist das Gesamterlebnis. Mit jeder Reise dorthin schärft sich mein Blick für die Region, ich bekomme ein differenzierteres Bild der Länder und des Lebens dort. Dieses Gefühl von Vielfalt und Reichtum ist fantastisch! Am Strand im Oman zu stehen und zu wissen, dass auf der einen Seite Indien ist, auf der anderen Seite Afrika und damit zu verstehen, dass dieser Ort und diese Region auch ein Zentrum der Welt ist – ich liebe diese Perspektivwechsel!“

Welche Vorteile hat die Zusammenarbeit für Superunion und für Ihr Team?

Martin Steinacker: „Durch die Zusammenarbeit lernen wir, unseren Blick auf die Welt zu schärfen. Jedes Projekt sorgt dafür, dass wir neugierig bleiben und die Internationalität ist für beide Seiten äußert gewinnbringend.“

Majdoleen Till: „Design ist global, das heutige Business ist global. Wir lernen eine Menge von einander – sowohl was die Arbeitsweisen angeht, aber auch aus einer Designperspektive. Ein Unternehmen, das nicht mit mehreren Kulturen kommunizieren kann, wird nicht von Dauer sein.“

Tobias Phleps: „Vielfältigkeit, Multikulturelle Teams, neue Märkte, andere Menschen und Kulturen – all das lerne ich durch diese Zusammenarbeit kennen und schätzen. Und ich glaube, das geht auch vielen Mitarbeitern bei Superunion so.“

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