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Trotz Fortschritt in gewissen Forschungsfeldern: Gender-Gap bleibt Thema in der Wissenschaft

Seit Anbeginn der Wissenschaften wurden Forschungsfelder stets von Männern dominiert. Historisch betrachtet wurden Frauen von den Wissenschaften ausgeschlossen – zunächst durch restriktive Regulierungen, dann durch kulturelle Gegebenheiten, die ihre Ausgrenzung verstärkten. Der für drei Oscars nominierte Film „Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen" basiert auf einer solchen Geschichte: Drei afroamerikanische Frauen arbeiten hart, um kulturelle Vorurteile zu überwinden und so maßgeblich dazu beizutragen, dass der Astronaut John Glenn ins All fliegen kann.

Ich wünschte, ich könnte sagen „Das war damals“, und in den 70er Jahren taten sich immer mehr Möglichkeiten für Frauen in der Wissenschaft auf. Heute sind in Kanada mehr Frauen an Hochschulen eingeschrieben als Männer. In den USA ist die Anzahl der Bachelor-Abschlüsse in MINT-Fächern von Frauen und Männer gleich.

Das alles sind gute Fortschritte. Jedoch spiegeln sich diese Bildungsmöglichkeiten noch nicht in Forschungspositionen oder Arbeitsplätzen im MINT-Bereich wider. Nach Angaben des National Girls Collaborative Project gelingt es vielen US-amerikanischen Frauen trotz des gleichen Bildungsgrades nicht, nach ihrem Abschluss eine Anstellung im MINT-Bereich zu bekommen. Andere schreiben sich ein, um ihren Master oder eine Promotion in einem MINT-Fach zu absolvieren, schließen ihn aber nie ab.

Uns allen entgehen die Entdeckungen und Führungsqualitäten von Frauen, wenn sie in der Forschung nicht stärker vertreten sind. Es liegt an uns allen – Frauen und Männern – die Gründe für diese Ungleichheit zu verstehen und unsere Stimmen dagegen zu erheben. Im Rahmen des Women’s History Month diskutierten im März Politiker, Pädagogen und Forscher darüber, wie man diese Lücke schließen könnte. Doch wenn es darum geht, anhaltende geschlechtsspezifische Disparität in der Forschung zu verstehen, beruhen viele dieser Diskussionen auf persönlichen Erfahrungen und Mutmaßungen. Bevor wir den Gender Gap schließen können, müssen wir die damit verbundene Wissenslücke schließen.

Die kürzlich von uns veröffentlichte Studie „Gender in the Global Research Landscape" misst die Forschungsleistung von 12 Ländern über einen Zeitraum von 20 Jahren (bis 2015) über 27 Disziplinen. Während die Studie Fortschritte beim prozentualen Anteil der weiblichen Forscher zeigt, ist dieser Fortschritt graduell und – bestenfalls – ungleichmäßig.

Der Anteil weiblicher Forscher beträgt in Australien, Brasilien, Kanada, Dänemark, der EU, Frankreich, Portugal, Großbritannien und den USA mehr als 40 Prozent. In den übrigen Ländern – Chile, Mexiko und Japan – liegt ihr Anteil unter 40 Prozent. In einem früheren Untersuchungszeitraum der Studie (1996-2000) lag der Frauenanteil lediglich in Portugal bei über 40 Prozent. In allen untersuchten Ländern stieg die Zahl weiblicher Wissenschaftler seit dem Jahr 2000 stetig.

Das ist ohne Frage ermutigend. Dennoch zeigen weitere Studienergebnisse Bereiche auf, in denen Verbesserungen nötig sind, um eine Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. Beispielsweise unterscheidet sich der Anteil der weiblichen Forscher in allen Bereichen: im Medizin- und Gesundheitssektor ist die Anzahl der Frauen am höchsten, während ihr Anteil in einigen Bereichen der Naturwissenschaften bei unter 25 Prozent liegt. Auch die Anzahl der Erfinderinnen im Bereich der Patentanmeldungen ist von anfänglichen 10 auf aktuell 14 Prozent gestiegen. Doch insgesamt sind Frauen in den untersuchten Ländern weiter unterrepräsentiert. Weitere Ergebnisse zeigen:

Bei Papern und Artikeln ist es für diejenigen, die Forschungsergebnisse nutzen, irrelevant, ob diese von weiblichen oder männlichen Forschern verfasst wurden. Obwohl Frauen insgesamt weniger wissenschaftliche Artikel veröffentlichen, werden ihre Artikel gleich viel zitiert oder heruntergeladen.

Wissenschaftlicher Output von weiblichen Forschern tendiert dazu interdisziplinärer zu sein als der ihrer männlichen Kollegen. In allen Ländern und Regionen haben Frauen einen leicht höheren Anteil als Männer in den Top 10 Prozent der interdisziplinären wissenschaftlichen Arbeiten.

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Frauen sind generell weniger international tätig als Männer. In allen untersuchten Ländern arbeiten Frauen weniger als Männer an international kollaborativen Wissenschaftspapern. Und obwohl diese Kollaborationen mit der Zeit zugenommen haben, hat sich die Wahrscheinlichkeit der Teilnahme an ebendiesen nicht geändert.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen über akademische und unternehmerische Bereiche hinweg an wissenschaftlichen Artikeln kollaborieren, ist geringer als bei Männern. Der Anteil der wissenschaftlichen Ergebnisse, die aus der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und freier Wirtschaft resultieren, ist in allen Ländern bei Frauen geringfügig niedriger als bei Männern.

Die Genderforschung zu Themen wie Feminismus und Gender-Stereotypisierung wächst nicht nur in der Menge und Komplexität, vielmehr tauchen im Laufe der Zeit auch immer neue Themenbereiche auf. Die Genderforschung konzentriert sich zudem nicht mehr nur noch auf die USA (50 Prozent der Paper in den Jahren 1996-2000), sondern wird in den USA und der EU zunehmend gleich betrieben (jeweils mehr als ein Drittel in 2011-2015).

Laut verschiedenen Studien tragen viele Faktoren zur geschlechterspezifischen Ungleichheit im MINT-Bereich bei. Es gibt anhaltende Vorurteile in Bezug auf Bewerbungsprozesse, Autorenschaft, Anerkennung und Förderung. Die Einstellung gegenüber jungen Frauen in Mathematik und Naturwissenschaften – auch von Eltern, Kollegen sowie Mathematik- und Wissenschaftslehrern – hat darauf einen Einfluss, genauso wie Lehrpläne und die Erlebnisse in der Oberstufe. Dies sind Gründe, die junge Frauen von einem Studium im MINT-Bereich abhalten, obwohl sie zu Beginn der Gymnasialzeit die gleichen Interessen haben wie Jungen.

Darüber hinaus ist es wahrscheinlicher, dass Frauen keinen direkten Karriereweg einschlagen und aufgrund persönlicher Faktoren, wie dem Mutterschutz, eher eine akademische Laufbahn verlassen. Zudem spezialisieren sich weibliche Forscher weniger als ihre männlichen Kollegen. Dies könnte die geringere Produktivität und die geringere Förderung ihrer Karriere erklären.

Neue Maßnahmen und Strategien, die auf fundierten Beweisen und Informationen basieren, sind nötig, um diese potenziellen Ursachen sowie die klaren und messbaren Defizite in der Geschlechtergleichheit zu überwinden. Nur mit einer informierten Herangehensweise können wir Methoden entwickeln, die mehr Gleichheit in der Forschungswelt ermöglichen und die dringend notwendige Zunahme von Entdeckungen und Innovationen fördern. 

Oliver Dumon

Head of Mendeley, ScienceDirect, Scopus und Engineering Village bei Elsevier

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