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Darmkrebsprävention nach Maß, statt von der Stange

Wie groß ist bei einer bestimmten Person das Risiko, in den nächsten zehn Jahren an Darmkrebs zu erkranken? Ein neuer Algorithmus, der auch modifizierbare Risikofaktoren berücksichtigt, kann diese Frage mit großer Präzision beantworten. Das Netzwerk gegen Darmkrebs e.V. begrüßt derartige Entwicklungen, da sie den Weg zu einer personalisierten Darmkrebsvorsorge ebnen können.

Faktoren, die das Darmkrebsrisiko maßgeblich beeinflussen, gibt es zuhauf.
Professor Dr. Krasimira Aleksandrova und ihr Team vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) in Bremen haben zusammen mit der International Agency for Research on Cancer (IARC) und anderen Kooperationspartnern ein Set davon für ein Rechenmodell genutzt, das das individuelle Darmkrebsrisiko möglichst präzise vorhersagen sollte.

LiFeCRC, so der Name des Modells, wurde anhand epidemiologischer Daten von über 255.000 Teilnehmer*innen der EPIC*-Kohorte entwickelt, die in den Jahren 1992 bis 2000 nicht an Krebs erkrankt waren und bis zu 15 Jahre lang nachbeobachtet wurden. Zusätzlich nutzte das Team weitere Daten von über 74.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, um das Modell zu validieren. Das Netzwerk gegen Darmkrebs e. V. tritt seit Jahren dafür ein, Vorsorgeempfehlungen und -angebote am individuellen Krebsrisiko auszurichten, und nicht allein am Alter oder am Geschlecht. Wir haben daher mit der Studienleiterin Professor Dr. Aleksandrova darüber gesprochen, wie LiFeCRC die Darmkrebsprävention verbessern könnte.

Frau Professor Aleksandrova, welches Ziel verfolgen Sie mit dem von Ihnen entwickelten Algorithmus?

Darmkrebs ist eine der häufigsten malignen Erkrankungen weltweit und wir erwarten bis 2030 einen Anstieg der Inzidenzraten um 60 %. Besonders besorgniserregend ist, dass die Zahl der Menschen mit einer Darmkrebsdiagnose vor dem 50. Lebensjahr zunimmt. Gleichzeitig werden die Chancen der Primärprävention nicht ausreichend genutzt. Ein Großteil der Darmkrebserkrankungen ist vermeidbar, und ein günstiger Lebensstil im frühen und mittleren Lebensalter reduziert das Lebenszeitrisiko für Darmkrebs deutlich. Mit unserer Arbeit wollen wir Menschen mit einem Lebensstil-bedingt erhöhten Darmkrebsrisiko identifizieren und sie zur Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen sowie zu Verhaltensänderungen motivieren.

Was leistet der Algorithmus?

Das LiFeCRC-Modell beruht auf den Risikofaktoren Alter, Hüftumfang, Körperhöhe, Alkoholkonsum, Raucherstatus, körperliche Aktivität sowie bestimmten Ernährungsgewohnheiten, d. h., dem Anteil an Gemüse, Milchprodukten, verarbeitetem Fleisch, Zucker und Süßwaren in der Nahrung. Diese Merkmale sind seit längerem als Risikofaktoren bekannt. Wir haben sie in unserem Modell zusammengeführt, um der Komplexität menschlicher Lebensstile und deren Einfluss auf das Darmkrebsrisiko gerecht zu werden. Deshalb haben wir auch unterschiedliche Modelle für Frauen und Männer entwickelt. Tatsächlich konnten wir zeigen, dass das LiFeCRC Personen mit hohem Darmkrebsrisiko zuverlässig identifizieren und ihr individuelles Risiko sehr präzise schätzen kann. Besonders hoch war die prädiktive Aussagekraft bei jüngeren Personen. Das ist sehr wichtig, da ihnen noch viel Zeit bleibt, ihr Darmkrebsrisiko durch Lebensstiländerungen zu beeinflussen.

Wie lässt sich die Risikoabschätzung mit dem LiFeCRC-Modell für die Darmkrebsprävention nutzen?

Über die Risikoabschätzung könnte das Modell das Bewusstsein für den Lebensstil als Risikofaktor fördern und Menschen frühestmöglich zu einem günstigen Lebensstil motivieren. Darüber hinaus denken wir, dass LiFeCRC über diese Bewusstseinsbildung zu einer besseren Inanspruchnahme von Vorsorgemaßnahmen beitragen könnte. Einen weiteren möglichen Nutzen sehen wir in der Selektion der Zielgruppen für das Darmkrebsscreening. Momentan werden hier im Wesentlichen das Alter und das Geschlecht als Kriterien verwendet. LiFeCRC liefert zusätzliche Informationen zum individuellen Darmkrebsrisiko, sodass differenziertere Vorsorgeempfehlungen möglich wären. Aber Risikokommunikation ist ein heikles Thema. Deshalb wollen wir den besten Weg für die Zielgruppenansprache über Anschlussprojekte herausfinden und validieren.

Werden Sie auch an Modellen zur Risikoprädiktion weiterarbeiten?

Das tun wir bereits. Zum Beispiel bewerten wir anhand der EPIC-Kohorte zahlreiche Biomarker, die mit risikoassoziierten biologischen Signalwegen verknüpft sind. Damit wollen wir das Modell weiter entwickeln und die Krebsprävention noch stärker personalisieren. Im Fokus stehen dabei vor allem der früh auftretende Darmkrebs und die Risikobewertung bei Menschen unter 50 Jahren. Unserer Ansicht nach gehört die Zukunft der personalisierten, risikoadaptierten Prävention. Dabei sollten wir ein Darmkrebsrisiko gerade auch bei jüngeren Menschen frühzeitig entdecken und versuchen, dieses bestmöglich zu senken.

* EPIC: European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition

Quelle: Aleksandrova K. et al. BMC Med 2021;19 (1) https://doi.org/10.1186/s12916...

Das Gespräch führte G. Löffelmann, München.

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