Antizipierende PR: Heute ahnen, was morgen droht

Krisen kommen stets unpassend. Antizipierende PR-Arbeit vermeidet, dass die PR in den Feuerwehr-Modus schalten und kommunikative Brände löschen muss. Ein paar gute und schlechte Beispiele.

Der „Dieselgate“-Moment

Da stand er nun wie ein begossener Pudel vor einer weißen Wand mit Firmenlogos und stotterte in der „Tagesschau“ um sein berufliches Leben: Martin Winterkorn, damaliger Chef des VW-Konzerns, im September 2015. Er habe nichts von der illegalen Manipulation von Motoren, die als „Dieselgate“ bekannt wurden, gewusst, sagte Winterkorn. Und wirkte, als stünde er unter Drogen, um die Nebelkerzen über seine Lippen zu bekommen (Hier geht’s zum Video).

„Dieselgate“ war nicht nur ein technisches und juristisches Desaster für VW. Es war auch ein Waterloo der Kommunikation. Wie hatte der Konzern annehmen können, die Manipulationen würden ewig geheim bleiben? Wie hatte es die PR versäumen können, sich auf den „Tag X“ vorzubereiten?

Niemand weiß mit Sicherheit, was morgen kommt. Es gibt aber Wahrscheinlichkeiten, gespeist aus Erfahrung, auf die sich auch PR-Profis vorbereiten können, nein, sogar müssen. Nennen wir es „antizipierende PR“.

   

Mehr als Krisenfrüherkennung

Antizipierende PR-Arbeit ist mehr als die Krisenfrüherkennung. Ihr Nutzen wird jedoch in der Krisenvermeidung und Krisenbewältigung besonders deutlich. Ohne sie können PR und Kommunikation ihre wichtigste Aufgabe nicht erfüllen: Schäden von der eigenen Organisation abzuwenden und ein positives Bild dieser zu zeichnen.

Die Rolle von antizipierender PR

Antizipierende PR bereitet das Feld, bevor eine „Bombe“ explodiert. Indem sie nicht bloß Krisenpläne entwickelt (siehe hier) und enge Beziehungen zu Meinungsmultiplikatoren pflegt (siehe hier), sondern sanft Themen und ihre Interpretationen setzt, bevor es zum Schwur kommt. So mag sie zwar manchen Knall nicht verhindern, mindestens aber dämpfen.

United Airlines: Ein vorhersehbarer Skandal

Die Folgen mangelnder Antizipation durfte auch die US-Fluggesellschaft United Airlines bestaunen. Weil ein Inlandsflug überbucht war, musste ein Passagier 2017 in Chicago O’Hare zurückbleiben. Er wurde dabei im Losverfahren bestimmt, saß aber schon im Flugzeug. Weil er jedoch nicht aussteigen wollte, wurde er vom Sicherheitspersonal herausgeprügelt und verletzt (hier die Videoaufnahmen).

Wirklich keine Werbung für United. Dass es so einen Vorfall irgendwann geben würde, war vorhersehbar. Überbuchung ist ein Grundprinzip von Fluggesellschaften. Doch wie reagierte United? Mit sprachlicher Verharmlosung (der „Passagier musste umgesetzt werden“) und einer Erklärung des CEO Oscar Munoz an die prügelnden Mitarbeiter: Sie hätten seine Sympathie und sollten auch künftig so handeln. Autsch. Der anschließende öffentlich Shitstorm und die Milliardenverluste an der Börse binnen 24 Stunden waren die gerechte Folge.

In praktisch allen Branchen und Industrien gibt es Prozesse und Standards, die aus betrieblicher Sicht notwendig sein mögen, aber irgendwann auf eine irritierte Öffentlichkeit stoßen. Antizipierende PR weiß das. Um im Beispiel zu bleiben: Verkehrs- und Reise-Journalisten sollten über die Hintergründe des Systems der Überbuchung Bescheid wissen, um solche Vorfälle einordnen zu können. Denn dann gibt es im Fall der Fälle auch in den Medien „Stimmen der Vernunft“, die hitzigen Posts in den sozialen Medien mit handfesten Erklärungen gegenübertreten können.

Habeck vs. „Nius“: Wenn Vorbereitung gewinnt

Wie wirksam antizipierende PR sein kann, hat der jüngste Bundestagswahlkampf demonstriert. Als das Online-Portal „Nius“, mit einem fragwürdigen Verhältnis zu Fakten und Wahrheiten gesegnet, den selbsternannten „Plagiatsjäger“ Stefan Weber auf den damaligen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck losließ, hatte dieser den Schmutzangriff längst antizipiert – und die öffentliche Meinung mit seiner Sicht und der Unterstützung der Universität Hamburg geprägt.

Nach vorherigen Angriffen auf andere Akademiker in öffentlichen Positionen war dem PR-Team von Habeck klar: Es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis ein ähnlicher Angriff auf den Minister erfolgen würde. So konnte das PR-Team sich frühzeitig Verbündete suchen und bei den ersten Anzeichen einer Kampagne konzertiert gegensteuern.

Statt frühere literaturwissenschaftliche Arbeiten von Habeck zu hinterfragen, wurden so die Ziele und Motive des Online-Portals und die politische Außenposition von Weber diskutiert. Die erkennbar politisch motivierte Anti-Habeck-Kampagne verlief (in diesem Fall) im Nichts. Und ärgerte „Nius“-Chef Julian Reichelt erheblich: Er beklagte sich auf dem eigenen Kanal über die effektive Gegenwehr, die verhindert habe, dass Dreck an Habeck haften geblieben sei.

PR als strategische Funktion, nicht nur Sprachrohr

PR ist kein Lautsprecher. Nicht nur im Fall von Habeck hatte und hat sie auch eine strategische Funktion. Unternehmen leben nicht nur von ihren Produkten und Dienstleistungen. Auch von ihrem Image. Durch die permanente Rückkoppelung mit Dritten gewinnen PR und Kommunikation Erkenntnisse, die für die weitere Unternehmensentwicklung wichtige Impulse liefern können.

Antizipierende PR-Arbeit ist kein Aushängeschild für die persönlichen Track-Records der PR-Verantwortlichen. Sie ist ein erfolgskritischer Baustein für die gesamte Organisation. Häufig genug stellen PR-Profis leider ihr Licht unter den Scheffel. Dabei müssen Geschäftsführungen und Vorstände verstehen: PR ist eine notwendige strategische Funktion, die Zukunft erfolgreich zu bestreiten.

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