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Prof. Dr. Jochen A. Bär ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Vechta.
Prof. Dr. Jochen A. Bär ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Vechta.

Pressemitteilung -

Wörter des Jahres 2022 | Prof. Dr. Jochen A. Bär, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache, berichtet

Das von der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden gewählte Wort des Jahres ist Zeitenwende. Das spätestens seit dem frühen 20. Jahrhundert belegte Substantiv, das speziell für den Beginn der christlichen Zeitrechnung, in allgemeinerer Bedeutung auch für jeden beliebigen Übergang in eine neue Ära steht, wurde 2022 in diesem zweiten Sinne prominent von Bundeskanzler Scholz verwendet. Der russische Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 markiere eine „Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinentes“. Bundespräsident Steinmeier sprach im gleichen Zusammenhang von einem „Epochenbruch“. Die deutsche Wirtschafts- und Energiepolitik musste sich völlig neu ausrichten. Verhältnisse zu anderen internationalen Partnern wie China wurden gleichfalls kritisch beleuchtet. Bei vielen Menschen fand auch eine emotionale Wende statt. Angst und Sorge vor einem Atomkrieg in Europa, gar vor einem dritten Weltkrieg waren vielfach zu spüren.

Ebenfalls auf den Russland-Ukraine-Krieg bezieht sich der widersinnig anmutende Ausdruck Krieg um Frieden (Platz 2). Für die Moskauer Propaganda handelt es sich um eine militärische Spezialoperation, für viele, insbesondere in der NATO, schlicht um einen Angriffskrieg. Auch in politischen Parteien mit pazifistischer Tradition verbreitete sich die Ansicht, dass die Ukraine mit Waffen unterstützt werden müsse, um ihre staatliche Integrität verteidigen und später einen dauerhaften Frieden in Osteuropa erreichen zu können.

Die Gaspreisbremse (Platz 3), auch Gaspreisdeckel genannt, ist nur eines der Instrumente, mit der die Bundesregierung auf die eklatanten Preissteigerungen in vielen Lebensbereichen zu reagieren versucht. Deutschland erlebt derzeit nach verbreiteter Auffassung die schwerste Krise seit 50 Jahren. Die Teuerung trifft große Teile der Bevölkerung hart: Die Wortbildung Inflationsschmerz (Platz 4) bringt dies anschaulich zum Ausdruck.

Das Umweltbündnis „Letzte Generation“ machte 2022 immer wieder spektakulär auf den drohenden Klimawandel aufmerksam. Aktivisten klebten sich in Museen an Kunstwerken fest, auf Straßen, Autobahnen und sogar Flughafen-Rollfeldern, um diese zu blockieren und eine Räumung durch die Polizei zu erschweren. Die Protestaktionen der Klimakleber (Platz 5), die auch Rettungswege versperrten, wurden in der Öffentlichkeit kontrovers debattiert.

Schon 2021, noch als Bundesfinanzminister wollte Olaf Scholz die „Bazooka“ auspacken, um „mit Wumms aus der Corona-Krise zu kommen“. 2022 plante dann die Ampelkoalition neben der Gaspreisbremse (s. o.) auch noch eine Strompreisbremse. Das sei dann sogar ein Doppel-Wumms (Platz 6), so Scholz, mittlerweile als Bundeskanzler. Die kraftbetonte Bild- und Lautlichkeit, erkennbar dazu gedacht, möglichst große Bevölkerungskreise anzusprechen, empfanden manche eher als unangemessen flapsig.

Die Covid-Pandemie ist keineswegs vorbei, aber in vielen Lebensbereichen hat eine neue Normalität (Platz 7) Einzug gehalten, zu der nur noch teilweise Maskenpflicht, Abstandsregelungen und andere Corona-Maßnahmengehören.

Mit dem 9-Euro-Ticket (Platz 8) wurde im Sommer 2022 der Versuch unternommen, für möglichst viele Menschen den öffentlichen Personennahverkehr attraktiv zu machen. Die hoch subventionierte Monatskarte wurde von Juni bis August insgesamt etwa 52 Millionen mal verkauft. Auch wenn das System erwartungsgemäß rasch an seine Grenzen kam und die Verkehrsmittel teilweise komplett überfüllt waren, galt die Maßnahme vielen als Erfolg; die Politik sah sich aufgefordert, über Folgemodelle, z. B. ein 49-Euro-Ticket, nachzudenken.

Glühwein-WM (Platz 9) oder auch Winter-WM steht für die Fußballweltmeisterschaft in Katar. Das arabische Emirat, dem vorgeworfen wurde, die Auslosung durch Bestechung für sich entschieden zu haben, erschien von Anfang an nicht als geeigneter Austragungsort. Nicht nur wurden Verletzungen von Menschenrechten in dem Land kritisiert, sondern auch die klimatischen Bedingungen. Zur Vermeidung der großen Sommerhitze beschloss man, das Turnier im November und Dezember stattfinden zu lassen. Doch aus Sicht vieler deutscher Fußballfans passen Public Viewing und Weihnachtsmarkt nicht zusammen.

Die Waschlappentipps (Platz 10) beziehen sich auf die durchaus ernst gemeinten, aber überwiegend ironisch aufgenommenen Empfehlungen des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann zum Energiesparen. Unter anderem ließ er wissen, man müsse nicht dauernd duschen: „Auch der Waschlappen ist eine brauchbare Erfindung“. Was die sprachinteressierte Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang lernen konnte: Die Textilindustrie nennt den guten alten Waschlappen bevorzugt Seiftuch.

Wort des Jahres / Gesellschaft für deutsche Sprache
Das Wort des Jahres wurde in Deutschland erstmals 1971 und regelmäßig seit 1977 von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) als sprachlicher Jahresrückblick herausgegeben. Die Aktion, die mittlerweile weltweit Nachahmung findet, ist die älteste ihrer Art. Traditionell suchen die Mitglieder des Hauptvorstandes und die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GfdS nicht nach den am häufigsten verwendeten Ausdrücken, sondern wählen solche, die das zu Ende gehende Jahr in besonderer Weise charakterisieren.

Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat weltweit etwa 200 Zweigvereine. Sie wurde 1947 gegründet. Prof. Jochen A. Bär hat von 1998 bis 2001 als ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter in Wiesbaden gearbeitet. Seit 2012 ist er Vorsitzender des von ihm gegründeten Zweiges der Gesellschaft in Vechta, seit 2015 Mitglied ihres fünfköpfigen Hauptvorstandes und seit 2019 ihr stellvertretender Vorsitzender.

Eine ausführlichere Erläuterung zu Zeitenwende ist hier zu finden: https://www.uni-vechta.de/germanistik/sprachwissenschaft/wdj/liste/2022.

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