Neuropsychiater Boris Cyrulnik: Warum wir der totalitären Versuchung so schwer widerstehen können. Über Innere Freiheit und Widerstand

Am 10. Januar 1944 wird der siebenjährige Boris Cyrulnik von bewaffneten Männern geweckt und in die Synagoge von Bordeaux verschleppt. Er ist allein in einer Menge von Unbekannten, denn seine jüdischen Eltern sind zu diesem Zeitpunkt schon ermordet worden. Boris Cyrulnik versteckt sich unter einer sterbenden Frau. Unbemerkt wird er mit ihr in ein Krankenhaus gebracht und kann von dort entkommen. 1700 Menschen waren in der Synagoge. Nur er und die Frau haben überlebt.

Diese existentielle Kindheitserfahrung hat den französischen Neuropsychiater und Erfinder des bekannten Konzepts der Resilienz maßgeblich beeinflusst. Sein ganzes Leben lang versucht Cyrulnik zu verstehen: Wieso glauben Menschen an eine Ideologie, die sie dazu bringt, andere zu töten? Welche Mechanismen machen Menschen zu Mitläufern und Konformisten? Wie können wir dem Diskurs des Hasses widerstehen? Wie können wir uns als Gesellschaft dem Totalitarismus verwehren?

Eindrucksvoll und mit enormer Dichte mäandert Boris Cyrulnik durch seine traumatischen Kindheitserlebnisse. Er weiß: Schon in jungen Jahren giert man danach, Wind zu fressen und mit den Wölfen zu heulen. Gegen Verlockungen dieser Art sind nur wenige Menschen gefeit. Mit Hannah Ahrendt formuliert er die Vorteile des Massendenkens, das vor Zweifel und Einsamkeit schützt und die Falle, die dieses kollektive Denken darstellt. Dagegen stellt er Liebe, Schönheit, innere Freiheit, die Fähigkeit, Worte zu erkennen, die das Denken vereinnahmen und formuliert Bedingungen für seelische Widerstandskraft. Cyrulnik ist ein glühender Verfechter des anti-doxischen Denkens.

Das Buch stand sieben Wochen auf Platz 1 der französischen Bestsellerliste. Noch immer besticht es durch seine Dringlichkeit. Denn Cyrulnik schreibt in eine Zeit hinein, in der das Wort echter Experten oder Augenzeugen zugunsten von manipulativen Lügen in Frage gestellt wird. Eine Zeit, in der ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg als „militärische Spezialoperation“ bezeichnet wird. Eine Zeit, in der sich erneut Kollektive erheben. Auch in Deutschland.

Boris Cyrulnik, geboren 1937 in Bordeaux, ist ein international anerkannter Neuropsychiater, der sich vor allem mit dem Konzept der Resilienz beschäftigt. Seine Eltern, aus Polen eingewanderte Juden, wurden während des Zweiten Weltkriegs in nationalsozialistischen Vernichtungslagern ermordet. Boris Cyrulnik ist der Verfasser zahlreicher erfolgreicher Sachbücher.

Gerne sende ich Ihnen ein Rezensionsexemplar bzw. vorab die Fahnen und vermittle den Kontakt zum Autor.

Mit besten Grüßen

Dr. Esther von Bruchhausen