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Man ist nur so alt wie man sich fühlt – New Work und Altern bilden nicht nur eine "gefühlte" Einheit

Der demographische Wandel ist schon heute Realität in vielen Unternehmen; seine Bedeutung wird in der nächsten Dekade noch zunehmen. In den vergangenen zehn Jahren hat sich allein in Deutschland die Erwerbsquote der 60- bis 65-jährigen Arbeitnehmer mehr als verdoppelt. Unternehmen sehen sich deshalb – und auch auf Grund des zunehmenden Fachkräftemangels – immer häufiger mit alternden Belegschaften konfrontiert. In der öffentlichen Debatte wird hierbei oft diskutiert, ob diese Alterung der Erwerbsbevölkerung eine Gefahr für die Innovationsfähigkeit und letztendlich auch für die Produktivität der Unternehmen darstellt. In meiner Forschungsgruppe an der Universität Konstanz beschäftigen wir uns im Rahmen breit angelegter Studien zum einen damit, ob diese spekulativen Annahmen tatsächlich der Realität entsprechen. Und zum anderen mit der Frage, wie in der Praxis Führungskräfte und Organisationen die Rahmenbedingungen für ihre Mitarbeiter dahingehend gestalten können, dass der demographische Wandel als Chance genutzt werden kann. Dabei sind wir auf einen zentralen und gleichzeitig wenig berücksichtigten Faktor gestoßen: das gefühlte Alter der Mitarbeiter.

Was ist das gefühlte Alter?

Jeder kennt wohl den geflügelten Satz: Man ist nur so alt, wie man sich fühlt. In der Tat zeigt auch die wissenschaftliche Forschung, dass das gefühlte Alter häufig deutlich von dem tatsächlichen, chronologischen Alter abweicht. In nahezu allen Ländern und Kulturkreisen findet hierbei eine Adaption hin zu einem gefühlt jüngeren Alter statt. Diese Abweichung wird mit höherem chronologischen Alter immer stärker, d.h. je älter man wird, desto mehr weichen gefühltes und chronologisches Alter voneinander ab. In der gerontologischen Forschung – also zu Personen mit einem Alter über 65 Jahre – konnte schon in einigen Studien gezeigt werden, dass das subjektive Alter einen entscheidenden Einfluss auf geistige und körperliche Fähigkeiten hat. So zeigte die Psychologin Ellen Langer in ihre „Counterclockwise“-Studie, dass bei Probanden, die sich durch eine Versuchsumgebung 20 Jahre jünger fühlten, sowohl die IQ-Leistung anstieg als auch sich zentrale physiologische Marker verbesserten (z. B. die Beweglichkeit der Finger).

Zu den Zusammenhängen zwischen gefühltem Alter und Produktivität am Arbeitsplatz gibt es im Gegensatz zu dieser Forschung mit älteren Probanden bisher nur wenig empirische Untersuchungen.

Wie werden wir morgen arbeiten? Werden wir morgen alle arbeiten? Wie vertragen sich Mensch und Maschine? Wie weit sind wir – in Deutschland – in der Umsetzung mit neuen Arbeitsstrukturen, die „lean“ oder „flexibel“ genannt werden, und die als New Work dem einen den Beginn der Apokalypse, dem anderen Heilsversprechen bedeuten? Unser NIMIRUM-Themenboost „Zukunft des Arbeitens“ ordnet mit Fakten und Expertisen ein gesellschaftlich hochbrisantes Thema ein. Die Zukunft des Arbeitens hat längst begonnen.


Gefühltes Alter und Produktivität von Unternehmen

Dies war der Startpunkt zu unserer breit angelegten Studie in 107 klein- und mittelständischen Unternehmen mit einer Gesamtzahl von mehr als 15.000 Beschäftigten. Zunächst wurde den Studienteilnehmern nur eine einzige Frage gestellt, nämlich wie alt sich diese unabhängig von ihrem chronologischen Alter fühlten. Die zentralen Ergebnisse sind in Abbildung 1 dargestellt. Auch in unseren Daten wächst die Abweichung zwischen chronologischem und gefühltem Alter mit steigendem chronologischen Alter. Im Durchschnitt fühlen sich die Mitarbeiter mehr als fünf Jahre jünger als sie tatsächlich sind. Auch gibt es statistisch bedeutsame Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Interessanterweise traten in den Daten zudem große Unterschiede zwischen den einzelnen Firmen auf. In einigen Unternehmen fühlten sich die Mitarbeiter im Durchschnitt acht Monate jünger als ihr chronologisches Alter, wohingegen in anderen Betrieben die Mitarbeiter berichteten, sich über acht Jahre jünger zu fühlen. Mit Hilfe verschiedener statistischer Verfahren untersuchten wir einen möglichen Zusammenhang zwischen diesen Differenzen des gefühlten Alters der Beschäftigten und der Leistungsfähigkeit der Unternehmen, der sich auch bestätigte. Im Rahmen einer publizierten Studie konnten wir aufzeigen, dass sich in Unternehmen, in denen sich die Mitarbeiter jünger fühlen, die Leistung um durchschnittlich 9,5 Prozent höher ist als in solchen Firmen, in denen sich die Mitarbeiter älter fühlten. Interessanterweise war dies der Fall, obwohl wir den Einfluss des durchschnittlichen chronologischen Alters kontrollierten, das für sich allein in keinem Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit der Unternehmen stand.


Ausblick: Das gefühlte Alter in der Unternehmenspraxis managen

Für die Unternehmenspraxis bedeutet dies, dass in Zeiten des demographischen Wandels viel stärker auf das gefühlte Alter oder die Alterseinstellung der Mitarbeiter geachtet werden muss. Dies sind insofern positive Neuigkeiten für Unternehmen, als dass das gefühlte Alter im Gegensatz zum chronologischen Alter durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflussbar ist. In unserer Studie konnten wir zum Beispiel feststellen, dass in den Unternehmen, in denen die Mitarbeiter das Gefühl haben, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, das gefühlte Alter der Mitarbeiter deutlich niedriger ist und somit als Konsequenz daraus in diesen Unternehmen auch letztendlich die Produktivität ansteigt. Ebenso steht zu vermuten, dass sowohl gute Führung, geringe Altersdiskriminierung im Arbeitsumfeld als auch der wahrgenommene Stress die subjektive Alterswahrnehmung der Mitarbeiter prägen. Deshalb bieten sich Firmen und Führungskräften viele interessante Ansatzpunkte, wie sie durch gezieltes Verhalten und Maßnahmen die subjektive Alterseinstellung ihrer Mitarbeiter beeinflussen können und damit für ihr Unternehmen für Produktivität und Innovationsfähigkeit trotz der Herausforderung des demographischen Wandels sorgen.

Portrait von Prof. Florian Kunze

Zur Person: Professor Florian Kunze leitet den Lehrstuhl für Organisational Studies an der Universität Konstanz. Er ist einer der führenden wissenschaftlichen Experten zu den Themen „Generationale Führung“, „Evidenzbasiertes Personalmanagement und Leadership“ und hat mehr als 70 Publikationen veröffentlicht. Diese wurde auch wiederholt in renommierten Medien wie der Wirtschaftswoche, dem Economist, der Financial Times, dem Magazin Forbes und dem Wall Street Journal aufgegriffen. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit berät Professor Kunze regelmäßig Firmen (von kleinen und mittleren Unternehmen, KMU, bis zu Dax-Konzernen) zu effektiven Ansätzen für Führungsverhalten und Personalmanagement.

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