Pressemitteilung -
Gefahr der Deprofessionalisierung: Lehrkräftemangel fordert die Transformation der Lehrkräftebildung heraus | Ringvorlesung an der Universität Vechta beleuchtet die historische Entwicklung sowie die aktuelle Lage
Unter dem Titel „Wissen(schaft) ermöglicht Wandel – Transformation der Lehrer*innenbildung in Deutschland“ hat Professorin Dr. Raphaela Porsch am 2. Dezember über die tiefgreifenden Veränderungen der Lehrkräftebildung gesprochen. Der Vortrag der Erziehungswissenschaftlerin stellte im Zuge der öffentlichen Ringvorlesung an der Universität Vechta die zentrale Konfliktlinie in der Bildungspolitik heraus: Höchstmögliche und beste Bildung der Lehrkräfte gegenüber pragmatischem Handeln zur Vermeidung von Unterrichtsausfall. Wird der Lehrkräftejob zum Ausbildungsberuf?
Porsch skizzierte zunächst die historische Entwicklung der Lehrer*innenbildung. Latein- und Gelehrtenschulen für einzelne Schülerinnen und Schüler hätte es bereits vor dem 18. Jahrhundert durch Theologen gegeben. Auch der Privatunterricht sei möglich gewesen. Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelten sich die ersten Lehramtsprüfungen. Die Ausbildung unterschied sich aber über Dekaden hinweg je nach Lehramtstyp stark. Während Lehrkräfte für das höhere Schulwesen (Gymnasien) eine universitäre, zweiphasige Ausbildung genossen, wurden Lehrkräfte für niedere Schulen (Volksschulen) bis weit ins 19. Jahrhundert hinein oft nur durch Handwerker, Küster oder ehemalige Soldaten gestellt. Die Ausbildung des niederen Lehramts war lange Zeit darauf ausgelegt, ein basales Niveau nicht zu überschreiten, um eine „Überbildung der unteren Stände“ zu verhindern; die Lehrpläne sollten gehorsame und gottesfürchtige Untertanen heranbilden.
Seit den 1970er-Jahren wurde die zweistufige Lehramtsausbildung für alle Lehramtstypen akademisiert. Damit wandelte sich der Lehrerberuf von einer ungelernten Tätigkeit hin zu einer „Profession“. Dabei sei die Ausbildung an Universitäten weltweit üblich und habe zwei wesentliche Begründungen, erläutert Porsch: 1. Lehrkräfte sollen als Expertinnen und Experten für ihre Fächer auf höchstem wissenschaftlichem Niveau ausgebildet werden. 2. Universitäten vermitteln neben Fachwissen auch eine kritisch-reflexive Haltung – die Haltung von Wissenschaftlerinnen sowie Wissenschaftlern. Diese sei essenziell, um im Berufsalltag das eigene Handeln selbstkritisch zu prüfen und anzupassen.
Aktuell steht die Lehrkräftebildung in den deutschsprachigen Ländern unter „hohem Druck“ – aufgrund des akuten Lehrkräftemangels. Als Reaktion darauf seien neue Modelle und Maßnahmen eingeführt worden, um Unterrichtsausfall zu vermeiden, führt Porsch aus. Dazu gehören die Einstellung von Seiteneinsteiger*innen, der (Qualifizierte) Quereinstieg, das Duale Lehramtsstudium und die Anstellung von Studierenden als Vertretungslehrkräfte.
Porsch betonte die Gefahr der „Deprofessionalisierung“ des Lehrkräfteberufs. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass allein die „Berufspraxis“ nicht ausreiche, um professionelles Handlungswissen zu erwerben, und die Strukturen für die Entwicklung einer kritisch-reflexiven Haltung ungünstig seien, insbesondere für diejenigen, die ohne eine lehramtsspezifische Ausbildung ihre Unterrichtstätigkeit aufnehmen. Zudem kritisiert Porsch, dass die Einführung dieser „neuen“ Modelle nicht oder selten durch Evaluationen begleitet werde, wodurch die notwendige Evidenzbasierung fehle.
Zwar bestehe die Sicht, dass die neuen Zugangswege eine Chance zur Vielfalt innerhalb des Lehrkörpers bieten könnten; dennoch mahnte die Professorin zur Vorsicht und vor Ansehensverlust und der Senkung der Anforderungen für den Lehrkräfteberuf. „Wird der Lehrerberuf also (wieder) zum Ausbildungsberuf? Und was für Lehrkräfte brauchen wir?“, stellte Porsch als Diskussionsfragen in den Raum.
In der Diskussion wurde deutlich, dass das Plenum die hohe Skepsis Porschs gegenüber den verkürzten Ausbildungswegen teilte. Auch kritisierten Teilnehmende, dass viel zu spät auf den Lehrkräftemangel reagiert wurde. Ob man nicht angesichts der veränderten Anforderungen an den Lehrkräfteberuf eher höhere Anforderungen an die Kompetenzen als auch die Haltung von Pädagog*innen benötige, erschien in der Diskussion fragwürdig: So sei ein Studieneingangstest angesichts des fortwährenden Mangels und der Schwierigkeit einer Messung nicht realistisch. Unter den Zuhörenden herrschte Einigkeit darüber, dass erhebliche Anstrengungen erforderlich seien, um sowohl die Lehrkräfteausbildung als auch die Schulen zukunftsfähig zu gestalten. Alternative Zugangswege sind grundsätzlich begrüßenswert, die Universitäten sollten aber in die Ausbildungsgestaltung aller zukünftigen Lehrpersonen eingebunden werden – eine Forderung, die Porsch gern umsetzen würde.
Am 9. Dezember spricht Professorin Dr. Annekatrin Bock zum Thema „Wer transformiert hier was? – Lernbüros als Motor für Schultransformation“. Die Veranstaltung beginnt um 18 Uhr im Musiksaal (Raum F144a) der Universität Vechta, Driverstraße 22. Weitere Informationen zur Ringvorlesung finden Sie unter https://www.uni-vechta.de/wissen-ermoeglicht-wandel.