Besser Sie haben ein Ohr an Ihrer Zielgruppe

Lob und Kritik der Zielgruppe sind wichtig für die eigene PR-Arbeit. Wer nicht zuhört und Diskussionen verfolgt, läuft Gefahr, Krisenzeichen zu übersehen.

Kein Produkt, keine Dienstleistung, kein Unternehmen und keine Institution, zu der es nicht ein Internet-Forum oder eine Facebook-Gruppe, einen Influencer auf Youtube oder einen Instagram-Chat gäbe. Über alles und jeden wird öffentlich diskutiert, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Nicht immer freundlich – und manchmal auch von den falschen Teilnehmern. Ahnen Sie die Gefahr?

Früher reichte der Blick in den Pressespiegel, um zu wissen: So stehen wir da. Sich heute auf die klassischen Medien zu beschränken, wäre fahrlässig. Shitstorms entstehen im Internet, selten auf Papier. Wenn sich Kunden nicht gehört fühlen, wenn die Qualität von Produkten abnimmt, wenn Preise erhöht werden, wenn Unternehmensentscheidungen kritisiert werden – die Anlässe können banal sein. Ohne systematische und professionelle Medienbeobachtung, ohne aktives Lesen von Foren und ohne die Teilnahme an Chats entgeht Kommunikationsmanagern der Ausgangspunkt einer Krise.

Dabei kommen Krisen so sicher wie das Amen in der Kirche. Vor allem aber: immer unpassend. Sie fegen wie ein Tropensturm über große wie kleine Unternehmen hinweg – und münden manchmal in der Katastrophe: der Insolvenz. Siehe Wirecard. Dabei ist Prävention möglich. Bis hin zum völligen Abwenden der Krise. Etwa durch frühzeitige Statements und die Moderation kritischer Diskussionen auch jenseits eigener Kundenforen und Internet-Kanälen.

Seit den frühen 90er Jahren beschäftigen sich PR-Agenturen und Kommunikationswissenschaftler strukturiert mit den Auslösern, Verläufen und Folgen von Krisen in Unternehmen. Sie fragen dabei nach Ursachen und auslösenden Momenten für Krisen. Und sie wollen wissen, welche Rolle Kommunikation für den Verlauf spielt, wie diese Krisen dämpfen oder auch verstärken kann. Sie sind dabei zu vier wesentlichen Erkenntnissen gelangt:

  • Fehlende Vorbereitung: Krisen können Unternehmen an die Belastungsgrenze bringen – und darüber hinaus. Insbesondere, wenn Rollen und Aufgaben im Vorfeld nicht eindeutig verteilt sind, wenn Materialien und Informationen nicht vorbereitet und Abläufe nicht einstudiert sind. Die Annahme, Krisen-PR vollständig an externe Berater abgeben zu können, hat sich als Irrtum erwiesen. Bestenfalls unterstützend können sie ein Teil der Lösung sein. (Lesen Sie auch: Vorbereitung hilft, Krisen zu überstehen.)
  • Verzögerte Erkenntnis: Krisen brechen plötzlich aus, aber ihre Ursachen stauen sich über lange Zeit an. Den zunehmenden Druck im Kessel nehmen Unternehmen häufig zu spät wahr, weil sie Medien – professionelle wie soziale – nicht hinreichend beobachten und den Erfahrungsschatz und die Einschätzungen der eigenen Mitarbeiter nicht konsequent nutzen. Damit rauben sich selbst der Möglichkeit, Krisen rechtzeitig zu entschärfen.
  • Mangelhaftes Training: Kommunikation ist nur überzeugend, wenn sie souverän erfolgt. Eine ruhige, Orientierung bietende Kommunikation erfordert Erfahrung. Soweit ein Unternehmen nicht in der Dauerkrise verhaftet ist, heißt das: Krisen müssen geübt werden. Mindestens einmal im Jahr. Gerne auch mit externer Unterstützung. So können rechtzeitig Schwachstellen und Defizite im Krisenplan erkannt und behoben werden.
  • Unehrliche Kommunikation: Lügen haben kurze Beine. Leerstellen in Statements auch. Krisen verstärken sich, wenn betroffene Unternehmen Lügen verbreiten, mit dem Finger auf andere zeigen, zu wichtigen Fragen eisern schweigen oder lückenhafte Aussagen treffen. Es gelten in der öffentlichen Wahrnehmung die Grundsätze: Wer schweigt, hat unrecht. Und schuldig ist, wer nicht das Gegenteil beweisen kann.

Die Merkmale von Krisen sind stets gleich: der zeitliche Druck wächst, die Ereignisse laufen zusammen, die Informationen und die Kontrolle werden lückenhaft. Das hat Corona überdeutlich demonstriert: Politik und Verwaltung waren auf die Pandemie nicht vorbereitet – und sie haben die ersten Krisensymptome falsch gedeutet. Die Folge war nicht nur eine wirtschaftliche Krise, sondern auch eine Vertrauenskrise in die Politik und deren Fähigkeiten, sachgerechte Entscheidungen zu treffen.

Firmen geht es ähnlich: Sie sehen die Krisensymptome nicht. Weil Werkzeuge fehlen, etwa ein professionelles Tool für die Medienbeobachtung. Oder weil sie die Signale nicht richtig einordnen können. Motorola ist ein Beispiel dafür. 2006 hatte der US-Hersteller einen Sensations-Erfolg mit dem Razr-Handy: extrem flach und stylish, aber mit technischen Mängeln. Die Forderung von Kunden, bei Technik und Bedienung nachzubessern, blieb größtenteils ungehört. Dafür wurde das Nachfolgemodell wieder größer – und die Internet-Foren kochten über. Ein klarer Fall von Missinterpretation – oder Ignorieren? – der Kundenwünsche. Und der Anfang vom Niedergang, der mit der Übernahme durch Lenovo endete.

Krisen schütteln Mittelständler noch umfassender durch. Meist betrifft es Produktprobleme, Unfälle in der Produktion – oder Entlassungswellen. Die nahezu unvermeidlichen Shitstorms treffen sie härter als globale Konzerne. Mangels Krisen-Resilienz und Vorbereitung. Dabei fehlt nicht nur ein Krisenhandbuch. Auch tauchen Kollegen und Vorgesetzte immer in dem Moment unter, zu dem sie am dringendsten gebraucht werden.

Das Beispiel Lufthansa zeigt, dass es besser geht. Im Frühjahr 2015 war ein Airbus der Tochter Germanwings in den französischen Alpen abgestürzt. 150 Menschen starben – der GAU für jede Fluggesellschaft. Doch Lufthansa war vorbereitet, hatte versteckte Websites auf Abruf, hatte Notfälle intern trainiert und konnte rasch substanzielle Informationen vorlegen. Mit Carsten Spohr trat zudem der oberste Konzernlenker an die Öffentlichkeit und machte den Unfall zur Chefsache. Die Krise ging für die Fluglinie glimpflich aus.

Die Erkenntnis: Zuhören zahlt sich aus. Vorbereitung auch. Für Organisationen jeder Größe.

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