Blog-Eintrag -

Journalismus und Gesellschaft - Reflexionen des LSOM-Dozenten Dr. Tobias D. Höhn

Wer als Journalist erfolgreich sein möchte, muss nicht nur sein Handwerkszeug (von der Recherche bis zur multi- und crossmedialen Präsentation) beherrschen, sondern auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen erkennen und verstehen. Denn Journalismus ist kein Selbstzweck wie etwa gute Literatur. „Irgendwas mit Medien“ war der Slogan der Generation Praktikum. Und heute?

Diejenigen, die sich heute für den Journalismus entscheiden, haben klare Vorstellungen – aber auch Fragen; an Medienhäuser, an die Öffentlichkeit, an sich selbst. Die 12 Studierenden des internationalen Masterstudiengangs New Media Journalism (NMJ) haben sich zum Auftakt an der Leipzig School of Media in einer Übung journalistisch mit dem Thema Journalismus auseinandergesetzt.

Neun von zehn Bundesbürgern sehen qualitativ hochwertigen Journalismus als wichtig für die Demokratie und die Gesellschaft in Deutschland an. Und noch besser: 94 Prozent der im Auftrag des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) vom Institut für Demoskopie Allensbach 1545 befragten Menschen sind davon überzeugt, dass guter Journalismus einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft hat. Aber: Gut zwei Drittel möchten für journalistische Inhalte im Internet nichts bezahlen. Doch was heißt das in einer Zeit, in der die Nutzungsdauer von Print sinkt und von Online steigt? Von den knapp zweieinhalb Stunden täglicher Internetnutzung entfällt schon heute rund eine dreiviertel Stunde auf Medien, heißt es in der ARD/ZDF-Onlinestudie 2017.

Die Kernfrage lautet: Qualitätsjournalismus zum Nulltarif – geht das? Die kompakte Antwort für eilige Leser: nein!

Um etwas weiter auszuholen: Die Grundversorgung (Bildung, Information und Unterhaltung) des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist über den Rundfunkbeitrag abgesichert. Aber das umfasst im Wesentlichen nur die tradierten Verbreitungswege. Doch was ist mit der privatwirtschaftlich finanzierten Presselandschaft? Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas regte schon vor zehn Jahren ein Sponsoring an: „Es ist kein ‚Systemfehler‘, wenn der Staat versucht, das öffentliche Gut der Qualitätspresse im Einzelfall zu schützen.“ Also Meinungs-Vielfalt durch Regulierung? Mit Blick auf die Geschichte Deutschlands, die Instrumentalisierung und Gleichschaltung der Massenmedien in der NS-Diktatur ein Tabu. Und auch in der Gegenwart kein Allheilmittel wie unterschiedliche staatliche Förderstrategien anderer Länder zeigen.

Es hilft auch nicht die Vergangenheit zu verklären, als Journalismus noch tiefgründiger, faktischer und seriöser gewesen sein soll. Fake-News und Filterblasen gab es immer, wenn auch nicht digital und in diesem Ausmaß. Dass der Journalismus sein Gatekeeper-Monopol verloren hat, ist ökonomisch eine Herausforderung, aber inhaltlich auch eine Chance für neue Themen und andere Sichtweisen. Es erfordert neues Handwerkszeug von der Recherche bis zur Präsentation. Auch das ist nicht neu: Journalismus hat sich seit dem Erscheinen der ersten Tageszeitung der Welt (1650 in Leipzig) kontinuierlich geändert – und bisweilen immer wieder neu erfinden müssen.

Sich den Leser, Zuschauer oder Zuhörer als hochaktive Masse vorzustellen, ist ein Irrglaube. Viele Medien wissen zu wenig über ihre Leser! Das Alter und den Wohnort vielleicht, und mitunter sogar noch ein paar soziodemographische Daten. Doch was ist mit Interessen und Hobbys? In welchen Vereinen sind sie? Wo halten Sie sich tagsüber auf? Das sind nur erste Fragen, die aber darüber entscheiden können, ob sich die Nutzer von ihrem Medium angesprochen fühlen, ob sie durch die Lektüre einen Mehrwert erfahren – und vielleicht sogar personalisierte Push-Nachrichten erhalten. Wenn sich die Lebenswelt der Mediennutzer wandelt, müssen sich auch die Medien als immanenter Teil dessen wandeln. Haben Medien im 19. Jahrhundert darüber berichtet, was passiert ist, geht es heute auch darum: Was bedeuten diese Ereignisse für den einzelnen? Was kommt auf den einzelnen zu?

Dafür braucht es gut ausgebildete Journalisten, die Geschehnisse einordnen, die hartnäckig nachfragen, Kritik und Kontrolle der Mächtigen üben und Meinungsbildung ermöglichen, in dem sie frei von ökonomischen und ideologischen Abhängigkeiten berichten können. Also einen Journalismus, der sein Geld wert ist.

Doch wie viel ist uns dieser Journalismus wert? Hier lohnt der Blick in die Schweiz, wo derzeit die „No Billag“-Initiative für Aufsehen sorgt. Billag ist eine Tochtergesellschaft der Swisscom und für die Erhebung der Rundfunkgebühren zuständig. Mit einer Volksabstimmung wollen die Gegner die De-facto-Steuer abschaffen, immerhin rund 386 Euro pro Haushalt pro Jahr (zum Vergleich: In Deutschland zahlen Privathaushalte 210 Euro im Jahr) und künftige staatliche Förderungen von Medien verboten wissen. Setzen sich die Initiatoren durch, wäre dies eine Zäsur mit gravierenden Folgen für den Journalismus, aber vor allem für die Gesellschaft. Das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Einnahmeverluste für viele private Radio- und TV-Stationen mit Gebührenanteil, ein Kahlschlag in der Aus- und Weiterbildung (folgenreich auch für die NMJ-Partnerinstitution MAZ) – das Totenglöckchen einer beispielhaften Journalismuskultur. Am Horizont zieht ein düsteres Bild auf: Einfalt statt Vielfalt. Profitieren könnte ausgerechnet das zusammengekaufte Medienimperium des SVP-Politikers Christian Blocher. Und jetzt sage noch einer, Journalismus sei keine vierte Gewalt…

Der Artikel erschien zuerst unter textoase.de und ist dort mit aktuellen Werkstattsbeiträgen aus dem Studiengang abrufbar.

Mehr unter: https://www.nimirum.info/insights/b_217-journalismus-und-gesellschaft/ oder textoase.de (inkl Audio und Präsentation).

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